88 Jahre hat Jean-Luc Godard (Weekend, La Chinoise – Die Chinesin) mittlerweile auf dem Buckel. Doch wer angesichts des fortgeschrittenen Alters erwartet, dass die Regielegende vielleicht ein wenig milde geworden sein könnte, der wird mit Bildbuch eines Besseren belehrt. Der Titel klingt schön, etwas zum Anschauen und sich verzaubern lassen. Anzuschauen gibt es in dem Film dann auch tatsächlich mehr als genug. Zauberhaft würde man das hier jedoch wohl kaum nennen, zumindest nicht im positiven Sinn des Wortes. Manches scheint mehr ein Fluch zu sein, den der unermüdliche Filmemacher ausstößt.
Die Geschichte einer Nicht-Geschichte
In fünf Kapitel ist das Werk eingeteilt, was aber nicht damit gleichzusetzen ist, dass hier eine klar erkennbare Struktur vorliegt. Vielmehr ist der filmische Essay, der bei den Filmfestspielen von Cannes 2019 Weltpremiere hatte, ein assoziativer Bilderfluss. Godard klappert bei seinen Überlegungen alle möglichen Themen ab, spricht mal von Krieg, dann von Unterdrückung und anderen Nöten. Also alles, was gerade schiefläuft, schon immer schiefgelaufen ist. Denn es sind ja keine neuen Abgründe, die er hier öffnet. Stattdessen ist Bildbuch von der Wut geprägt, dass sich so wenig ändert.
Dabei zeigt der französisch-schweizerische Regisseur und Drehbuchautor nicht wie so mancher Dokumentarfilmer einfach auf die da oben und stampft wütend mit den Füßen. Er hinterfragt sich auch selbst, hinterfragt das Kino, das er so liebt. Das ist nichts Neues, das hat er schließlich in dem achtteiligen Projekt Histoire(s) du cinéma auch schon getan. Sind Filme Abbilder der Realität? Oder sind sie zumindest mitverantwortlich für das, was da draußen geschieht?
Die Welten untereinander
Immer wieder baut Godard dann auch Filmschnipsel in Bildbuch ein, kontrastiert fiktive und reale Aufnahmen – auch in der Frage, ob es diesen Kontrast wirklich gibt. Denn immer wieder verschwimmen hier die Grenzen. Farben werden verfälscht, bis eine alptraumhafte Spiegelversion entsteht, der Ton tritt regelmäßig aus dem Tritt. Dass die Sprache zu den Bildern passt, wie wir es aus regulären Filmen gewohnt sind, das kommt auch hier vor. Verlassen sollte man sich jedoch nicht darauf, oft genug wird man sich beim Anschauen fragen: Ist da gerade etwas kaputt?
Eine Antwort darauf muss das Publikum jedoch selbst geben. Godard hat viel nachgedacht und lässt einen an diesen Gedanken teilhaben. Was daraus zu machen ist, ob es eine Lösung für die von ihm skizzierten Probleme gibt, das verrät er nicht. Bildbuch ist eine faszinierende, mitunter sicherlich anstrengende Auseinandersetzung mit unserer Welt. Und es ist eine Aufforderung, eine Möglichkeit, alles noch einmal mit anderen Augen zu sehen – teils wortwörtlich. Das wird nicht jedem gefallen, zumal dabei nicht zwangsweise wirkliche Erkenntnisgewinne hervorgehen. Aber man muss ihn bewundern, den legendären Filmemacher, mit wie viel Elan er noch immer zur Sache geht und nicht müde wird, um sich herum alles einzureißen.
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