Er wird einmal ein literarisches Genie sein, davon ist Bertolt Brecht (Tom Schilling) schon als junger Mann überzeugt. Einer, der auf einer Stufe mit Goethe und Schilling stehen wird. Von diesem Plan soll ihn nichts abhalten, weder der Krieg noch anfängliche Fehlschläge. Und auch seine diversen Frauengeschichten haben sich seinen schriftstellerischen Ambitionen unterzuordnen. Anerkennung erfährt er jedoch erst später, vor allem seine „Dreigroschenoper“ wird zu einem großen Erfolg. Mit der Machtergreifung der Sozialsozialisten wird er dabei zu einer unerwünschten Person und geht ins Exil, das Brecht (jetzt: Burghart Klaußner) erst Jahre später wieder verlassen wird.
Tom Schilling, so scheint es, hat eine neue Berufung gefunden: als Verkörperer historischer Künstler. Einige Monate ist es her, dass er in einer umgedichteten Fassung von Gerhard Richter im höchst umstrittenen Werk ohne Autor zu sehen war. Nun mimt er Bertold Brecht, einen der ganz großen – und ebenfalls umstrittenen – deutschen Literaten des 20. Jahrhunderts. Immerhin: Diesmal hat er deutlich mehr zu tun als beim letzten Biopic. Wo Künstler-Tom letzten Endes nur ein stiller Beobachter von allem war, was um ihn herum so passierte, darf Schriftsteller-Tom auch mal was tun. Vor allem eins: Frauen anbaggern.
Ein Frauenheld ohne jegliche Scham
Ein bisschen Mut gehörte sicherlich dazu, einen Film wie Brecht heute noch zu drehen. Ein Mann, der geradezu willkürlich Frauen bedrängt, sie schwängert, ohne sich auf sie einzulassen, und offen droht, wenn sie sich anderen Männern nähern? Das ist in Zeiten von #MeToo schon eine sehr aggressive Demontierung eines Künstlers. Umso mehr, da sich Regisseur und Drehbuchautor Heinrich Breloer auf diesen Aspekt sehr versteift. An vielen Stellen wirkt das bei der Berlinale 2019 uraufgeführte Biopic eher wie das Porträt eines pathologischen Frauenhelden anstatt eines Schriftstellers. Kann man machen. Die Frage ist nur: wozu?
Brechts künstlerische Überzeugungen spielen gerade in dem ersten Teil, der ihn als jungen Mann zeigt, eine untergeordnete Rolle. Was er denkt, warum er es denkt, das interessiert irgendwie niemanden. Lediglich sein Verhältnis zum Krieg wird ausführlicher behandelt. Das ist aber nicht nur sehr verkürzt und letztendlich unbefriedigend, es ist noch nicht einmal sonderlich überzeugend. Dass Brecht wie ein kleiner Junge wirkt, wie ein Zeitgenosse hier an einer Stelle sagt, das mag man noch abnehmen, auch wegen des ewig jugendlichen Schillings. Was genau diese vielen Frauen an ihm fanden, das bleibt hingegen ein Rätsel, gerade auch angesichts seiner fortwährenden Misshandlungen.
Späte Einsichten eines Künstlers
Spannender ist da schon der zweite Teil, wenn wir einen Sprung in die späten 40er/frühen 50er machen. Zwar gibt es auch dort noch einen größeren Teil an nicht immer nachvollziehbaren Frauengeschichten. Brecht redet dort aber dann doch verstärkt über den Künstler, vor allem dessen politischen Ansichten, wenn er sich immer weiter in die Entwicklungen der DDR verstrickt. Das geht trotz zahlreicher Details nicht so wirklich in die Tiefe, ein bisschen mehr Kontur erhält der Titelheld aber schon. Zumindest genug, dass es sich an den Stellen etwas lohnt ihm zuzuhören.
Am interessantesten ist aber ohnehin, was andere über Brecht zu sagen haben. Wie so oft in seinen Werken kombiniert Breloer in seinem neuesten Interviews mit nachgespielten Szenen, ist eine Mischung aus Dokumentation und Spielfilm. Die sind dann auch recht geschickt zusammengeschnitten: Wenn in einer Szene Tom Schilling einer seiner Frauen etwas ins Ohr flüstert und wir direkt danach die reale Frau widerspricht, dann ist das eine doch unterhaltsame Brechung. Wir erfahren durch seine Wegbegleiter auch deutlich mehr über ihn als durch die Spielfilmszenen, obwohl Letztere sehr viel zahlreicher sind. Etwa drei Stunden dauert der Zweiteiler, ist vollgestopft mit Anekdoten und Ereignissen, das erkennbare Ergebnis jahrelanger Recherche. Und doch ist es irgendwie recht wenig, was aus dem Stoff herausgeholt wurde.
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