Das hat ja nicht sehr lange gedauert. Gerade erst hat Luis Buñuel damit begonnen, seine eigenen Filme zu drehen, da scheint die Karriere schon wieder vorbei zu sein: Keiner will seinen nächsten Streifen finanzieren. Verständlich irgendwie, waren seine vorangegangenen Werke doch so surreal, dass kaum einer etwas damit anfangen konnte. Dafür soll sein nächster Film umso realer werden: eine Dokumentation über das harte Leben auf dem spanischen Land, finanziert durch einen Lottogewinn seines Freundes Ramon Acin! Aber auch dieses Werk scheint unter keinem guten Stern zu stehen, nichts klappt so wie beabsichtigt. Da entschließt sich Buñuel, ein klein wenig nachzuhelfen.
Filme über Künstler werden immer wieder gerne gedreht, erlauben sie doch einen Einblick in die Menschen hinter den großen Werken. Manchmal sind diese Filme noch ein wenig spezifischer und beleuchten die Entstehungsgeschichten dieser Werke. Das muss dann nicht immer ganz der Wahrheit entsprechen. Manchmal sind es sogar genau die absurderen Überspitzungen und Spinnereien, welche den Unterhaltungswert ausmachen – siehe Vorhang auf für Cyrano und Charles Dickens – Der Mann der Weihnachten erfand.
Ein Wechselbad der Gefühle
Bei Buñuel im Labyrinth der Schildkröten ist das ganz ähnlich. Wobei: Hier ist nicht nur die Frage, was wahr, was erfunden ist, schwer zu beantworten. Man kann nicht einmal sagen, ob das nun lustig oder erschreckend ist, was uns der Film vorführt. Denn während manche Szenen, in denen Luis Buñuel (Belle de Jour – Schöne des Tages) den Schauplatz gnadenlos manipuliert, um seine Wunschvorstellung der Realität zu finden, durchaus erheiternd sind, sind andere umso finsterer. Rücksichtslos ist der spanische Filmemacher, manchmal sogar grausam. Erlaubt ist, was seinem Werk nutzt, ist es noch so brutal und lebensverachtend.
Des Öfteren ist man dann auch ganz froh, dass die Adaption einer Graphic Novel von Fermín Solis in Form eines Animationsfilms umgesetzt wurde. Denn das macht so manche Szene leichter zu verdauen. Aber auch Realaufnahmen finden sich in dem Film drin. Genauer baute Regisseur Salvador Simó Ausschnitte aus Las Hurdes – Land ohne Brot ein, eben jener Dokumentarfilm aus dem Jahr 1933, den Buñuel hier zu drehen versucht. Es ist ein gespenstischer Effekt, dieses Nebeneinander eines fiktiven Making-ofs und des realen Ergebnisses, das Nebeneinander zweier unterschiedlicher Darstellungsformen, die klar voneinander getrennt sind und doch eng miteinander verschmolzen.
Eine Geschichte, die größer ist als sie selbst
Kurios dabei: Buñuel im Labyrinth der Schildkröten, das auf diversen Animationsfestivals life – etwa das Anima Festival in Brüssel – ist etwa 80 Minuten lang und damit etwa dreimal so lang wie der Dokumentarfilm, der hier behandelt wird. Andererseits ist Las Hurdes ohnehin nur ein Teilaspekt der Geschichte. Immer wieder gewährt Simó in Form von Flashbacks kurze Ausflüge in die Kindheit des ungewöhnlichen Künstlers, um so seinem Wesen noch ein bisschen näherzukommen. Ganz funktioniert das nicht. Abgesehen davon, dass Buñuel eben eigenwillig ist und sich schon mal die Realität zum Untertanen macht, wissen wir am Ende nicht wirklich viel mehr.
Dafür erinnert der Film an die Macht des Bildes und daran, wie man sich diese zunutze machen kann. Nur weil etwas wie die Realität aussieht, muss es nicht real sein. Buñuel im Labyrinth der Schildkröten spielt dann auch mit diesen Gegensätzen, ist mal realistisch, dann wieder grotesk, baut zwischendrin schon mal eine surreale Szene ein – passend zu den realen Werken von Luis Buñuel. Technisch ist das nicht unbedingt überragend, da wurde offensichtlich mit einem geringeren Budget gearbeitet. Die ausdrucksstarken, etwas überzogenen Designs lenken davon aber meistens ab, wenn wir nicht eh gerade zu sehr damit beschäftigt sind, dem seltsamen Treiben zuzusehen.
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