Lange wird es jetzt nicht mehr dauern, dessen sind sich alle bewusst. Als Angèle (Ariane Ascaride), Joseph (Jean-Pierre Darroussin) und Armand (Gérard Meylan) noch einmal im Haus der Familie zusammenkommen, dann um bei ihrem Vater zu sein, der nach einem Schlaganfall bereits im Sterben liegt. Lange sind sie nicht mehr hier gewesen. Angèle hat Karriere als Schauspielerin gemacht, Joseph (Jean-Pierre Darroussin) ist als Gewerkschafter schwer beschäftigt. Nur Armand (Gérard Meylan) ist in dem kleinen Küstenort geblieben, um das Familienrestaurant weiter betreiben zu können. Viel hat sich geändert seit ihrer Kindheit, manches ist auch gleichgeblieben. Während die drei auf das Unvermeidliche warten, kommen viele Erinnerungen noch, von glücklichen wie traurigen Tagen.
Wenn Filme aus Frankreich zu uns kommen, dann handelt es sich meistens entweder um Komödien – wahlweise charmant-romantisch oder etwas krawallig – oder um schwere Gesellschaftsdramen, die von Rassismus (Das ist unser Land!) bis zu sozialen Ungerechtigkeiten (Streik) alles thematisieren, was in unserer Welt nicht stimmt. Das Haus am Meer scheint auf den ersten Blick zu der zweiten Kategorie zu gehören, wenn auch hier so manches heißes Eisen angefasst wird. Und doch ist der mittlerweile 20. Film von Regisseur und Co-Autor Robert Guédiguian deutlich persönlicher, leiser und versöhnlicher als die seiner Landleute.
Gefangen in der Offenheit
Am Anfang war das Wasser. Das gilt nicht nur für das Leben, es gilt auch für Das Haus am Meer: Guédiguian hatte die Idee, einen kompletten Film in der Méjean calanque Bucht in der Nähe von Marseille zu drehen, das ihn immer an ein Theater erinnert hat. Das gilt dann auch für den fertigen Film: Der Schauplatz ist begrenzt, in sich abgeschlossen und doch zu allen Seiten offen und einsehbar. Eine eigenartige Mischung aus wohliger Klaustrophobie und Ausgangspunkt, die ein Hafen so mit sich bringt. Ein Ort, an den früher die Touristen kamen, der heute aber nur noch aus Erinnerungen besteht, Kulissen, denen langsam das Leben entwichen sind.
Angèle und Joseph war diese Welt zu eng geworden. Waren die Ansichten des Vaters zu eng geworden, ein strammer Linker mit festen Überzeugungen und einem ungebrochenen Stolz, der es ihm verbietet, Hilfe anzunehmen. Das Politische der obigen Sozialdramen, es findet sich auch hier wieder, wird dabei jedoch immer mit dem Privaten verknüpft. Der sterbende Vater ist Familienoberhaupt, ein nicht immer ganz einfaches, aber eben auch Überbleibsel einer vergangenen Zeit, eines vergangenen Kampfes. Ein Kampf, der heute von niemandem mehr fortgesetzt wird. Selbst Joseph, als Gewerkschafter so etwas wie der natürliche Nachfolger, ist inzwischen desillusioniert, hat eine Freundin, die nur halb so alt ist.
Die Kunst der Komik
Auch Angèle hat einen jungen Verehrer. Während dies bei ihrem Bruder aber als übliche Midlife-Crisis und generelle Enttäuschung durchgeht, die irgendwie kompensiert werden muss, ist die Konstellation bei ihr deutlich kurioser. Die übergriffigen Avancen des jungen Mannes sind irgendwo zwischen komisch und unheimlich, ein grotesker Vorläufer von #metoo, behandeln dabei gleichzeitig das Thema Kunst als verbindendes Mittel. Denn durch sie können wir dem hier und jetzt entkommen, den zu klein gewordenen Häfen.
Nur uns selbst nicht. Wirklich originell ist das Szenario natürlich. Ob bereits geschehene oder noch bevorstehende Todesfälle, sie werden in Filmen oft dafür verwendet, um Familienmitglieder zusammenzuführen und schwierige Vergangenheiten aufzuarbeiten – siehe etwa 25 km/h und Der Wein und der Wind. Während das dort aber oft auf rührende Wohlfühlszenarien hinausläuft, bleibt Das Haus am Meer eigen, kombiniert auch hier Persönliches mit Politischem. Das ist manchmal etwas forciert, das Setting ist nicht das einzige, das an ein Theaterstück erinnert. Das Drama, das bei den Filmfestspielen von Venedig 2017 Premiere feierte, ist melancholisch und ein bisschen skurril, richtet den Blick gleichzeitig auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ist betonte Kunst und doch auch fest in der Gesellschaft verankert.
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