Es ist ein unglaublicher Anblick, der sich dem jungen Tim (Joshua John Miller) da bietet: Am Flussufer sitzt doch tatsächlich John (Daniel Roebuck) neben der Leiche seiner Freundin Jamie. Der ist sogar recht stolz darauf, erzählt am nächsten Tag mehreren davon, was er getan hat. Glauben will das natürlich niemand, weshalb John sie dazu überredet, mit ihm zum Ort des Verbrechens zurückzukehren. Während Tims Bruder Matt (Keanu Reeves) völlig verstört ist, gilt die Aufmerksam von Layne (Crispin Glover) erst einmal der Vertuschung der Tat. Schließlich soll niemand etwas davon erfahren.
1986 erschienen gleich zwei Filme, in denen es um Leichen an Flussufern und die Reaktionen der Protagonisten ging. Doch während Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers daraus eine Coming-of-Age-Geschichte machte um ein paar Jungs und ihre enge Freundschaft, da gibt es in Das Messer am Ufer keine Entwicklung. Und auch Gefühle sind hier eher selten zu finden, sieht man einmal von den gelegentlichen Wutausbrüchen ab. Ein solcher führte schließlich zu dem Mord, auch andere Figuren hier werden mit ihrem Leben für die Launen der anderen bezahlen – oder dem Tod noch knapp entkommen.
Mord? Auch egal
Doch trotz dieser mörderischen Tendenzen, Das Messer am Ufer ist kein Thriller. Auch die Frage, ob John nun geschnappt wird oder nicht, spielt eine erstaunlich geringe Rolle. So wie John immer wieder zu einer Randerscheinung reduziert wird, obwohl er doch der Katalysator der Geschichte ist. Stattdessen geht es um das grobe Umfeld, aus dem John kommt bzw. die Gesellschaft im allgemeinen: Die Geschichte eines Mordes wird zum Porträt einer Gemeinschaft, die keine ist. Die sich nicht wirklich für andere interessiert, noch weniger fühlt, geradezu erschreckend abgestumpft ist.
Das wissen auch die Figuren, die zwar in einem Nebel von Alkohol, Drogen und Perspektivlosigkeit umherwandern, dabei aber nicht unbedingt dumm sind. Sie wissen, dass der Mord falsch war. Sie wissen, dass sie um die Tote trauern sollten, wo sie doch Teil ihres Lebens war. Dass sie dennoch so wenig empfinden, schockiert sie fast ebenso wie das Publikum, das nach und nach von der allgegenwärtigen Kälte eingefangen wird. Lichtblicke? Die gibt es kaum. Selbst Matt – Keanu Reeves in einer seiner frühesten Rollen – geht nur teilweise als Gegenpol durch. Zwar wird er im Gegensatz zu anderen tätig, tut dies jedoch nicht aus Gewissensgründen oder Mitgefühl heraus.
Allein in der Kälte
Tim Hunter, der später unter anderem bei Serien wie Twin Peaks und Riverdale Regie führte, konzentriert sich bei Das Messer am Ufer dann auch auf die düstere Atmosphäre. Die Farben sind reduziert und kühl, als läge über allem ein leichter Grau- und Blauschleier. Da muss gar nicht viel passieren, dass es einen als Zuschauer fröstelt. Es passiert tatsächlich auch nur wenig: Der Film lebt weniger von der Spannung als von dem allgemeinen Gefühl der Trostlosigkeit. Nur selten bricht wirklich etwas aus diesem Schleier hervor, darunter Dennis Hopper (Easy Rider) als kurios-kaputter Drogendealer mit Puppenfetisch. Ansonsten scheint die Zeit oft stillzustehen, erfroren in einer Welt der Gleichgültigkeit.
Wie es dazu kommen konnte, dass hier nichts mehr wirklich von Bedeutung ist, das verrät der Film nicht. Das Messer am Ufer setzt das Publikum in der Kälte aus, ohne befriedigende Antworten zu geben. Doch das ist hier dann mal kein Mangel, sondern Teil des Schreckens: Tim Hunter zeigt uns, dass wir gar keine Monster brauchen, um Horror zu erzeugen. Es braucht nicht einmal zwangsläufig Grausamkeit. Der Mensch allein in seiner ausgehölten Gefühllosigkeit reicht aus, um das dringende Bedürfnis zu entwickeln, einfach mal die Decke über den Kopf zu ziehen und keinen Schritt mehr vor die Tür zu machen. Lohnt sich auch nicht.
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