Beruflich haben die beiden doch sehr unterschiedliche Wege eingeschlagen. Während Erik (Gísli Örn Garðarsson) als Anwalt auf der Seite des Gesetzes steht, zumindest öffentlich, ist sein Bruder Atli (Baltasar Breki Samper) regelmäßig mit diesem in Konflikt. Auch im Knast hat er bereits gesessen. Eines eint die zwei jedoch über ihr Blut hinaus: Sie stecken mächtig in der Klemme. Geld brauchen sie, jede Menge davon, und das möglichst schnell. Also fassen sie den Plan, mithilfe der jungen, unscheinbaren Polin Sofia (Anna Próchniak) Kokain zu schmuggeln, das sie vorher verschluckt hat. Doch schon auf dem Weg nach Reykjavik muss sie sich übergeben, auch später hat ihr Körper unvorhergesehene Probleme mit der fremden Substanz. Was wiederum für die Brüder ein großes Problem ist, denn ihnen sind diverse Leute auf den Fersen.
So richtig viel bekommen wir hierzulande vom isländischen Kino ja leider nicht mit. Während gerade Schweden und Dänemark bei uns Dauergäste sind, ist die ferne Insel vielleicht doch etwas zu fern, als dass wir sie von hier aus sehen könnten. Lediglich Regisseur Baltasar Kormákur hat es tatsächlich zu Weltruhm geschafft, was aber mehr mit seinen Hollywoodausflügen wie Die Farbe des Horizonts und Everest zusammenhängt als mit seinen deutlich besseren heimischen Werken wie dem moralisch fordernden Abgrund Der Eid oder der Serie Trapped über ein kleines, abgelegenes Dorf, in dem ein mysteriöser Mord geschehen ist.
Allein unter Tieren
Bei Letzterer durfte Börkur Sigþórsson bereits die eine oder andere Folge inszenieren, mit Die Frau im Eis gibt er nun sein Debüt als Spielfilmregisseur. Und mit diesem beweist er sich als würdiger Schüler von Kormákur, der hier ebenfalls als Produzent auftritt. Der etwas nichtssagende deutsche Titel wird dem Thriller dabei nicht wirklich gerecht. Da waren der heimische Titel oder auch der internationale doch spannender, die auf Wölfe bzw. Geier Bezug nehmen. Denn beides würde auf die Brüder zutreffen, die sich die junge Frau zunutze machen, ohne größere Skrupel.
Vor allem Erik ist ein wunderbares Beispiel für einen Kotzbrocken, der in anderen Menschen nicht mehr als ein Mittel zum Zweck sieht. Das steht natürlich im Kontrast zu seinem gepflegten seriösen Äußeren, ein Wolf im Anzug sozusagen. Und es steht im Kontrast zu seinem Bruder, der zwar so gar nicht vorzeigbar ist und offensichtlich ebenso wenig Interesse an Recht und Ordnung hat. Er hat sich seine Menschlichkeit aber immerhin bewahrt, versucht zumindest, der jungen Frau zu helfen, die aufgrund der Drogen Höllenqualen leidet.
Doppelt fesselt besser
Spannend ist der Beitrag vom Fantasy Filmfest 2018 deshalb gleich in zweifacher Hinsicht. Zum einen ist der Film geprägt von der Dynamik zwischen den beiden Brüdern, die zwar dasselbe Ziel haben – Geld mit den Drogen verdienen –, ansonsten aber sehr unterschiedlich sind. Immer wieder kriselt es da, man wartet nur geradezu darauf, dass sie sich irgendwann an die Gurgel gehen. Aber da ist eben auch die Frage: Kommen sie aus der Nummer noch einmal heil heraus? Verfolgt von der Polizei auf der einen Seite, ausgebremst durch die körperlichen Probleme von Sofia, sind sie selbst Gefangene, die gegen die Zeit anrennen, obwohl sie letztendlich nur warten können.
Für die Betroffenen ist die Situation natürlich denkbar unangenehm, die Folge von Pech ist, manchmal auch von eigenen Fehlern. Freunde düsterer Krimis bzw. Thriller werden hier hingegen ihre helle Freude haben. Farben gibt es nur selten, vieles ist in blassen Graublau-Tönen gehalten. Sehr viel Abwechslung oder Wendungen sollte man nicht erwarten, Sigþórsson, der auch das Drehbuch schrieb, erzählt eine recht gradlinige Geschichte, die zielsicher den Weg in den Abgrund wählt. Bei der man irgendwie auch gar nicht sagen kann, wem man eigentlich die Daumen drücken soll oder will. Eindeutig ist hingegen, dass Die Frau im Eis ein gelungenes Debüt ist, das einen hoffen lässt, bald noch mehr von dem isländischen Nachwuchsfilmemacher zu sehen – auch wenn das hier in mehrfacher Hinsicht teilweise schwer zu schlucken ist.
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