Debra Newell (Connie Britton) hat ihren Lotteriegewinn des Lebens längst Wirklichkeit werden lassen. Sie ist erfolgreiche Geschäftsfrau und stolze Mutter zweier Töchter sowie von einem Sohn. Es fehlt einzig allein der Mann ihrer Träume, der das scheinbar perfekte Familienmosaik vervollständigt. Ein spontanes Kennenlernen solcher Kandidaten im hiesigen Supermarkt steht bei ihrem vollgepackten Terminplan außer Frage. Sie versucht ihr Glück auf Datingseiten im World Wide Web. Dutzende Reinfälle und aufgeplusterte Egos später, ist sie kurz davor das Handtuch zu schmeißen, als ihr der charmante John Meehan (Eric Bana) einen letzten Hoffnungsschimmer schenkt. Von Beruf Doktor, sportlich, intelligent, humorvoll, die Liste nimmt gar unglaubwürdige Züge an, die auch Debras Kindern nicht verborgen bleiben. Denen geht das Liebesglück ihrer Mutter etwas zu schnell und nach ein wenig Recherche erblicken erste Lücken in Johns ach so glänzender Rüstung das Tageslicht. Der Anfang eines tragischen Familiendramas mit tödlichem Ausgang.
Basierend auf dem amerikanischen Podcast, der 2017 wochenlang die Hitlisten anführte und wiederum auf einer realen Geschichte aufbaut, die 2016 ihr tödliches Ende fand. Genügend Anlass, dem Ganzen einen filmischen Anstrich in Form einer 8-Folgen Serie namens Dirty John zu verleihen. Unter der Führung von Alexandra Cunningham, die bereits für Desperate Housewives (2004-2006) und Aquarius (2015-2016) die Leitung übernahm. Die angewandte Erfolgsformel ist eine Mischung aus Foreshadowing, Rückblicken in Johns Vergangenheit und Szenarien aus der Liebesbeziehung, die dem wilden Emotionspotpourri gerecht werden wollen.
Ein Psychopath mit Ansage
Dass mit John etwas nicht stimmt, wird dem Zuschauer nicht erst mit Ende der ersten Staffel bewusst. Sich langsam lösende Handlungsknoten und das Fallen der grotesken Groschen, wie man es bei dieser Art von Serie erwarten könnte, sucht man vergeblich. Bereits in der ersten Folge schöpfen Debras Töchter, Veronica (Juno Temple) und Terra (Julia Garner), Verdacht. Zumal John selbst nicht gerade Mr. Prince Charming höchstpersönlich im Dauereinsatz ist. Nach dem ersten Date mit Debra stürmt er wutentbrannt aus der Wohnung, als sie ihm zu verstehen gibt, dass ein One-Night-Stand außer Frage steht. Es folgen weitere roten Flaggen des gesunden Menschenverstandes, die Johns fragiles Gerüst der Lügen und Intrigen hätten aufdecken müssen.
Die Liebe ist ein Mysterium der fragwürdigen Entscheidungen. Weshalb der wohl interessanteste psychologische Ansatzpunkt nicht bei John selbst, sondern bei Debra liegt: Was bewegt eine Person dazu, alle Anzeichen auf eine imminente Gefahr zu ignorieren und seine eigene Familie schlussendlich in Lebensgefahr zu bringen? Keinesfalls abwertend gemeint, kennen wir doch alle die Sehnsucht nach Anerkennung, Zuneigung und Liebe, die nicht selten das tragende Fundament vieler tragischer Geschichten bildet.
Adaption oder Fiktion?
Zieht man Vergleiche zur ebenfalls kürzlich erschienen Netflix-Doku Dirty John: The Dirty Truth, lassen sich wahrheitsgetreue Parallelen nicht von der Hand weisen. Viele Unterhaltungen sowie Handlungen finden genauso statt, weswegen eine direkte Kritik an der eigentlichen Serie einer Diskreditierung der wahren Ereignisse gleicht. Eine Dramatisierung gewisser Ereignisse und fiktionale Aufbauschung spezifischer Charaktere räumen die Macher aber ein. Dies ist vor allem in der Präsentation von Johns Vergangenheit bemerkbar, die an einen Mix aus Catch Me If You Can und Möchtegerngangsterhaushalt erinnert. Ein Vater, der John und seine Schwester zum Betrügen animiert, ausbildet und im täglichen Bullshitbingo versiert. Simpelstes Drehbuchhandwerk.
Opfer ohne Stimme
Die Serie greift eine hochinteressante gesellschaftliche Thematik auf, in der Opfer von psychischem Terror oftmals keinen Ausweg kennen/sehen und in einem Labyrinth der eigenen Hoffnung, dass alles besser wird, umherirren. Leider gleitet dieses feinfühlige Thema durch das altbekannte Hollywoodsieb und löst die Geschichte von seinen tragenden Charakteren. Das Ergebnis ist ein blasses Unterhaltungsbächlein nach amerikanischen Serienstandard, bei denen Schauspieler und Handlung in ein enges Korsett gezwängt werden, das keinen Raum für tiefgründige Ansätze lässt.
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