Die Krankheit war lange und hart, der Tod kam dafür umso schneller. Nun ist Sarah tot und keiner weiß so recht, wie es weitergehen soll. Da kommt es für Witwer John West (William Baldwin) eigentlich ganz gut, dass er ein neues Jobangebot bekommen hat, in seiner alten Heimatstadt auch noch, wo Sarahs Schwester Charlie (Kathleen Robertson) lebt! Seine drei Kinder Maddie (Amalia Williamson), Scout (Spencer Macpherson) und Taylor (Taylor Throne) sind über diese Entscheidung jedoch sehr viel weniger glücklich. Ihre Heimat zurücklassen? Freunde? Erinnerungen? Boston gegen eine Kleinstadt eintauschen? Und das ist nur der Anfang: Kaum auf Turtle Bay Island angekommen türmen sich die Schwierigkeiten für die drei.
Wie übersteht eine Familie einen Schicksalsschlag? Die Liebe deines Lebens verlieren, deine Mutter verlieren, wenn du noch ein Kind bist, gar nicht richtig angekommen im Leben – das ist schon hart. Und auch ein beliebtes Thema für Film und Fernsehen, mit großen Gefühlen lässt sich nun einmal richtig viel Kohle machen. Die Macher von Northern Rescue, genauer Emily Hurson, Mika Collins und America Olivo, wollten das natürlich auch. Und so fahren sie hier alles auf, was dir so wiederfahren kann, hauen selbst dann noch kräftig drauf, wenn du eh schon am Boden liegst. „Das ist nicht fair!“, sagt Taylor an einer Stelle. Vermutlich nicht. Dafür sehr berechnend.
Anfang gut, alles gut?
Der Einstieg der kanadischen Serie ist dabei noch recht effektiv, schließlich zwingt sie uns, zusammen mit dem kläglichen Rest der Wests Abschied von Sarah zu nehmen. Und auch wenn wir sie nur wenige Augenblicke kennenlernen durften, so spürt das Publikum doch schnell: Das ist ein schwerer Verlust. Allgemein stimmt die erste Folge noch recht hoffnungsvoll, Northern Rescue könne eine stimmige Auseinandersetzung mit Trauerarbeit sein. Der Streit um Sarahs Sachen – alles behalten oder spenden? – wird zu einer ersten großen Zerreißprobe, der einfühlsam veranschaulicht, wie schwierig es ist, sich von einem geliebten Menschen zu verabschieden.
Doch danach fängt das Übel an. Dass sich die Netflix-Serie nicht allein um die Verarbeitung des Verlustes drehen kann, das ist verständlich. Nach einem derart einschneidenden Punkt müssen sich alle erst einmal selbst wiederfinden, auch ihre Beziehung untereinander neu definieren. Eine Familie, die vorher von der Mutter zusammengehalten wurde, kann ohne diese nicht so weitermachen wie bisher – logisch. Und auch dass der Alltag seine Probleme mit sich bringt, ist für die Geschichte legitim. Northern Rescue ist kein reines Trauerdrama, sondern zu weiten Teilen auch Coming of Age, richtet sich hiermit klar an eine jugendliche Zielgruppe, die ganz ähnliche Schwierigkeiten durchmacht.
Zu wenig und zu viel
Das Problem: Die Balance stimmt nicht. Northern Rescue will einerseits ganz alltäglich sein, von Themen wie erster Liebe, Anpassungsschwierigkeiten an der Schule und Selbstsuche reden. Gleichzeitig gibt es aber auch eine dicke Portion Melodram. Da werden dunkle Geheimnisse mit sich herumgeschleppt, Konflikte aus dem heiteren Himmel erschaffen, dazu noch an weiteren Schicksalsschlägen gebastelt. Was als Schwank aus einem aus den Fugen geratenen Leben beginnt, verkommt so immer mehr zu einer Seifenoper, die eher Gelächter als Gefühle provoziert. Denn dafür ist das hier alles zu konstruiert, zu überzogen, zu weit weg vom Alltag.
Gleichzeitig packt Northern Rescue aber auch ein Klischee nach dem anderen aus, ist an vielen Stellen so vorhersehbar und ausgebrannt, dass es keinen echten Grund gibt, sich das hier anschauen zu wollen. Da helfen auch das ungewöhnliche Setting – Familie West lebt in einem Aquarium – sowie Johns Beruf als Leiter einer Such- und Rettungseinheit, der immer wieder für Nervenkitzel sorgen soll, nicht weiter. Die Serie schwankt sehr unglücklich zwischen völliger Belanglosigkeit und over-the-top-Drama hin und her, kann sich nicht entscheiden, langweilt im einen, nervt im nächsten Moment. Auch dafür wird sich mit Sicherheit ein Publikum finden. Eines, das gleichzeitig seinen eigenen Alltag auf dem Bildschirm sehen und sich davon ablenken lassen will. Dem Thema wird das hier aber trotz gelegentlicher schöner Einfälle und einiger gut gemeinter Ratschläge kaum gerecht.
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