Von klein auf gab es für Nikki Sixx (Douglas Booth) nur eines im Leben, das wirklich Bedeutung hatte: Musik. Damit konnte er seiner traurigen Kindheit entkommen, seiner gleichgültigen Mutter und ihren ständig wechselnden, immer brutalen Partnern. Und so war es für ihn auch klar, dass er als Erwachsener selbst Musik machen wollte, harte und laute Musik. In Tommy Lee (Colson Baker) und Mick Mars (Iwan Rheon) findet er Gleichgesinnte, die mit ihm eine neue Band gründen. Komplettiert wird das Ganze durch den Sänger Vince Neil (Daniel Webber), der später hinzustößt. Auch der Name steht bald fest, unter dem sie große Erfolge feiern: Mötley Crüe. Denn feiern können die vier, mehr, als es ihnen oft gut tut.
Kenne dein Publikum! Nur wer weiß, was dieses will, kann es auch erreichen und damit jede Menge Kohle machen. Den Beweis lieferte unlängst Bohemian Rhapsody. Das Queen-Biopic hatte zwar nur bedingt etwas mit dem tatsächlichen Leben von Freddie Mercury zu tun. Aber es war bunt, fiel durch einen überkandidelten Rami Malek auf und enthielt so viel Musik der legendären Band, dass es der breiten Masse völlig egal war, dass hier geglättet wurde ohne Ende, bis dem Film jede Persönlichkeit fehlte. Knapp 900 Millionen Dollar spielte das Biopic ein, eine der ganz großen filmischen Erfolgsgeschichten des letzten Jahres.
Lasst uns Spaß haben!
The Dirt ist nun das genaue Gegenteil. Zumindest wurde es als solches angekündigt. Der Anfang scheint das auch zu bestätigen, wenn der Film gleich richtig zur Sache geht: Da dürfen die Mitglieder der Band auf einer Party so richtig die Sau rauslassen, es wird gesoffen, es wird gefickt, irgendwo sind bestimmt auch Drogen im Umlauf. Genau sagen kann man das nicht, das Getümmel ist so hektisch und unübersichtlich, dass man nicht weiß, wie einem geschieht. Jeff Tremaine, dank vorangegangener Werke der Jackass-Reihe – zuletzt Jackass: Bad Grandpa im Jahr 2013 – bestens vertraut mit grobem Humor und der Vielseitigkeit menschlicher Körperöffnungen, will hier erst einmal richtig aufs Publikum einprügeln, bevor wir zur eigentlichen Geschichte kommen. Das ist nichts für die breite Masse, bringt auch keine Oscars ein.
So richtig schockierend ist das dann aber doch nicht, sofern man nicht gerade in einem prüderen Umfeld aufgewachsen ist. Denn dafür ist das hier alles zu überzogen, zu sehr auf Komik getrimmt. Das bestätigt sich in der Folgezeit, wenn The Dirt immer mal wieder die vierte Wand durchbricht. Da kommentieren die Figuren ähnlich etwa zu American Animals das Geschehen, beschweren sich beispielsweise darüber, dass sie zu wenig Beachtung finden oder geben einen Ausblick auf etwas, das erst viele Jahre später stattfindet. Amüsant ist das, auch im Kontrast zu vielen Biopics, die sich selbst so wahnsinnig ernstnehmen. Die Jungs schlagen natürlich über die Stränge, aber hier soll man Spaß haben, selbst wenn man genau weiß, dass es falsch ist.
Heute ist mir alles egal!
Was zunächst noch als Stärke des Films durchgeht, zeigt später umso stärker die eigenen Schwächen auf: Tremaine ist entweder nicht in der Lage, die dramatischen Ereignisse im Leben der Band zu würdigen. Vielleicht will er es auch gar nicht. So oder so, selbst in den grausamsten, finstersten Momenten The Dirt entwickelt er keine Emotionalität. Menschen sterben? Die Gruppe bricht auseinander? Und wenn schon. Der Film mag auf der gemeinschaftlichen Autobiografie von Mötley Crüe basieren, interessiert sich aber nicht für deren Leben. Er interessiert sich nicht einmal wirklich für die Musik: Auftritte und Originalsongs gibt es kaum. Warum die Rocker so enorme Erfolge feierten, bleibt ohnehin ein Rätsel, mit dem Phänomen setzt sich hier niemand auseinander.
Je länger The Dirt andauert, umso belangloser wird er dann auch. Wichtige Momente werden im Schnellverfahren und äußerst lieblos zusammengeschnitten, eine Collage, die schneller vergessen ist als die letzte Flasche Bier. Als Gute-Laune-Biopic funktioniert das zum Teil ganz gut, auch weil die vier Darsteller es offensichtlich genießen, sich mal ein bisschen vor der Kamera gehenlassen zu dürfen. Ein Blick auf den Wikipedia-Artikel der Band bietet aber mehr Infos und Emotionalität. Und er ist letztendlich sogar spannender, im letzten Drittel, wenn hektisch irgendwie ein Schluss gefunden werden muss, fängt der Film doch spürbar an zu langweilen. Was sehr viel schockierender ist als die teils expliziten Partyexzesse.
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