Richtig kompliziert ist der Auftrag eigentlich nicht. Die beiden Brüder Eli (John C. Reilly) und Charlie Sisters (Joaquin Phoenix) wurden beauftragt, einen Mann namens Hermann Warm (Riz Ahmed) festzunehmen, im Zweifel auch zu töten. Das tun sie häufiger mal, die zwei sind schließlich gefragte Kopfgeldjäger, haben unzählige schon um die Ecke gebracht. Doch irgendwie will das dieses Mal nicht so klappen. Ihr Kontaktmann Morris (Jake Gyllenhaal), der den Mann im Auge behalten soll, ist nämlich selbst verschwunden. Zusammen mit Warm. Außerdem müssen sie feststellen, dass sie nicht die einzigen sind, die ihm auf der Spur sind, denn der unscheinbare Zivilist soll im Besitz einer äußerst wertvollen Sache sein.
Wenn schon denn schon. Der gefeierte französische Regisseur Jacques Audiard (Ein Prophet, Dämonen und Wunder – Dheepan) liefert mit The Sisters Brothers nicht nur seinen englischsprachigen Einstand. Er knüpft sich für sein Debüt auch noch das uramerikanische Genre des Westerns vor. Die Wahl des Spezialisten harter Dramen dürfte viele etwas überraschen, manche im Vorfeld auch enttäuschen. Wenn dann auch noch ein absolutes Star-Quartett die Hauptrollen übernimmt, war endgültig die Befürchtung da, Audiard könnte sich vielleicht zu weit von seinen Stärken entfernen, über gebrochene, unbedeutende Verlierer zu reden. Doch das Ergebnis spricht für sich. Der Film mag nicht mehr viel mit dem gemeinsam haben, was wir von dem Regisseur und Co-Autor erwarten. Es hat aber auch nur wenig mit dem gemeinsam, was wir von einem Western erwarten.
Alles da und gleichzeitig nicht
Das ist jedoch nicht allein Audiard zu verdanken. Schon die Vorlage des kanadischen Autors Patrick deWitt hält sich nur sehr bedingt an das, womit der Western groß geworden ist. Es gibt sie natürlich, die Cowboy-Hüte und die Knarren, die Schießereien und Besuche von Saloons. Es gibt auch die große freie Landschaft des Wilden Westens, durch die unsere tapferen Recken zu Ross unterwegs sind. Aber es gibt gleichzeitig noch sehr viel mehr. Und irgendwie auch weniger, wenn Genrefreunde vergeblich auf das warten, was bei einem Western selbstverständlich sein sollte.
Zunächst einmal sind die Figuren nicht so ganz das, was uns Hollywood einst gelehrt hat. Sicher, so lange die Brüder mit dem so unmännlichen Nachnamen Sisters mit ihren Revolvern hantieren, da wirkt alles noch normal. Doch sobald sie den Mund aufmachen, wird es schnell komisch – in mehr als einer Hinsicht. Hier gibt es kein Pathos und große Reden, aber auch nicht das ernste Schweigen, das Männer im Wilden Western gerne mit sich bringen. Stattdessen unterhalten sie sich über Nichtigkeiten, zwischen banal und absurd. Später wird es auch eine Passage geben, die Elis begeisterte Entdeckung der Zahnbürste zeigt. Ein Mann, der nicht nur hier irgendwie völlig fehl am Platz wirkt.
Auf der Flucht vor dem Konkreten
John C. Reilly (Holmes & Watson), der auch die Rechte am Buch kaufte und den Film produzierte, ist für eine solche Figur natürlich eine ideale Besetzung. Sinn und Unsinn liegen bei wenigen Darstellern so schön beisammen. Wobei auch die anderen drei fabelhafte Szenen haben, die mal kurios, mal warmherzig, manchmal auch dramatisch sein können. Vieles dabei ist seltsam, etwa Warms Träume einer utopischen Kommune mitten in Texas. Und das von einem Mann, der so offensichtlich fremder Abstammung ist – der Brite Riz Ahmed hat pakistanische Wurzeln. Das sollte im Wilden Westen der 1850er irgendwie eine Erwähnung wert sein, wird aber ebenso wenig zu Wort gebracht wie die angedeuteten homoerotischen Momente zwischen Warm und Morris.
Aber auch die eigentlichen Herzstücke eines Westerns – etwa Schießereien und Landschaftsaufnahmen – kommen seltsam kurz. Zu sehen sind sie, Audiard und sein Kameramann Benoît Debie scheinen sich dafür aber nicht so recht zu interessieren. Wo andere diese Momente groß in Szene setzen würden, da sind sie hier einfach nur irgendwie da. Das kann man dann großartig finden, auch hier eine Unterwanderung von Erwartungen. Andere wird es eher frustrieren, eben nicht das geboten zu bekommen, was das Genre für viele ausmacht. Trotz der erneut guten Kritiken sowie dem Regie-Preis bei den Filmfestspielen von Venedig 2018, in den USA ist der Film an den Kinokassen dann auch ziemlich untergegangen. Doch davon sollte sich niemand abhalten lassen, vor allem nicht bei einer Vorliebe für ungewöhnliche Genreinterpretationen. Auch wenn das hier alles nicht dieselbe Relevanz hat wie die vorherigen Werke von Audiard, es ist doch ein vergnüglicher Aufbruch zu neuen Ufern – selbst wenn diese in der verstaubten Vergangenheit liegen.
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