Endlich, Caspar Leinen (Elyas M’Barek) bekommt seinen ersten Fall als Pflichtverteidiger! Die Sache hat jedoch einen Haken. Eigentlich sogar mehrere. Nicht nur, dass der mittlerweile pensionierte italienische Gastarbeiter Fabrizio Collini (Franco Nero) jegliche Aussage verweigert, warum er den Industriellen Hans Meyer (Manfred Zapatka) ermordet hat. Meyer war zudem ein Ziehvater von Leinen. Ihm hat er jede Menge zu verdanken, durch ihn konnte er überhaupt erst werden, wer er ist. Und dann soll er ausgerechnet dessen Mörder verteidigen? Das ist schwer zu verdauen, gerade auch für Meyers Enkelin Johanna (Alexandra Maria Lara), die Jugendliebe von Leinen. Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, muss sich der unerfahrene Anwalt auch noch mit Professor Richard Mattinger (Heiner Lauterbach) messen, einer Koryphäe auf dem Gebiet.
Alle Augen, das versteht sich von selbst, sind auf ihn gerichtet: Elyas M’Barek. Nicht nur, dass er einer der wenigen deutschen Schauspieler ist, der tatsächlich noch Massen in die Kinos locken kann – was in der aktuellen Kino-Misere schon eine kleine Kunst ist. Viele dürften zudem neugierig sein, wie sich der aus Komödien (Fack ju Göhte) abonnierte österreichische Schauspieler in einer ernsten Rolle schlagen würde. Schließlich ist der letzte Versuch, ganz ohne Witze über die Runden zu kommen, inzwischen schon fünf Jahre alt, der seinerzeit durchaus erfolgreiche Hackerthriller Who Am I – Kein System ist sicher. Wobei, zumindest am Anfang ist der Ton schon noch etwas humorvoller, wenn sich Leinen bei seinem ersten Auftritt vor Gericht gleich einmal lächerlich macht. Denn offensichtlich hat ihm vorher niemand gesagt, wie er sich dort zu verhalten hat.
Stellvertreter des Volkes
Die leichte Unbeholfenheit kann man sympathisch finden, soll man wohl auch. Schließlich wird er gleichzeitig immer wieder beim Boxen gezeigt. Das hat mit der Geschichte zwar so gar nichts zu tun, demonstriert aber: Das hier ist einer, der richtig viel Power hat und keiner von den streng-vertrockneten Aktenschiebern ist. Das ist irgendwie nett, gerade auch im Kontrast zu Rainer Bock, der als süffisanter Staatsanwalt wie immer ein echtes Schwergewicht ist. Dass Der Fall Collini enttäuscht, liegt dann auch weniger an den Darstellern. Es liegt noch nicht einmal an den holzschnittmäßigen Figuren, aus deren Formen sich die Schauspieler kaum lösen können. Es ist vielmehr der komplette Rest, der den Film zunehmend unerträglich macht. Und zu einer unglaublichen Verschwendung von Zeit und Potenzial.
Grundlage des Thrillerdramas bildet der gleichnamige Roman von Ferdinand von Schirach, der selbst Strafverteidiger war, bevor er sich der Schriftstellerei zuwandte. Aber selbst wer keine Bücher liest, könnte über ihn gestolpert sein – sowohl die Serie Schuld wie auch der Fernsehfilm Terror – Ihr Urteil gehen auf ihn zurück. So wie dort geht es auch in Der Fall Collini um Rechtsfragen und moralische Überlegungen. Was ist Recht? Was ist Gerechtigkeit? Dass beides nicht deckungsgleich sein muss, das ist kein Geheimnis. Oft widerspricht es unserem instinktiven Rechtsempfinden, was die Justiz bestimmt. Auf diese Widersprüche aufmerksam zu machen und zu hinterfragen, das ist durchaus legitim, manchmal sogar wichtig. Gerade auch, wenn dies mit einem fetten Skandal einhergeht.
Holzhammer statt Antworten
Das alleine macht aus Der Fall Collini aber noch keinen guten Film. So bedeutend es ist, was hier zum Schluss ausgegraben wird – dass hinter Collinis Schweigen ein dunkles Geheimnis steckt, das lässt sich früh erahnen –, so wenig wird daraus gemacht. Denn ausgerechnet vor der ganz heiklen Frage drückt sich der Film auf eine denkbar billige Art und Weise. Ebenso unbefriedigend ist der zweite große Knackpunkt der Geschichte: Darf man, sollte man den Mörder des eigenen Ersatzvaters verteidigen? Das ist als Szenario natürlich komplett konstruiert, bei den Überlegungen von Ferdinand von Schirach kommt es darauf aber nicht an. Hauptsache man hat Stoff zum Nachdenken. Umso irritierender ist, dass dieser Punkt ebenfalls irgendwann einfach fallengelassen wird, so als hätte es ihn nie gegeben.
Das ist auch deshalb gravierend, weil diese Punkte die einzigen interessanten Aspekte eines ansonsten völlig uninteressanten Films sind. Die Ermittlungen von Leinen werden lieblos beiseitegeschoben, völlig überflüssige Figuren eingeführt, der Film konzentriert sich einfach nie aufs Wesentliche, bleibt nie bei einer Linie. Die Geschichte springt so sehr hin und her, dass man oft nicht weiß, worum es denn übergehen gehen soll. Wirklich ärgerlich ist aber, dass der von Marco Kreuzpaintner (Coming In) inszenierte Film derart ungeniert auf Pathos setzt. Vor allem die grauenvoll aufdringliche Musik, die so gar keine leisen Zwischentöne zulässt, greift schnell die Nerven an. Alles hier ist übertrieben, mit dem Holzhammer zurechtgeprügelt, damit auch der letzte versteht, was Sache ist. Dazu gibt es später noch wirklich schlimmes Overacting, damit keine Fragen mehr aufkommen, wer der Böse ist. Ein bisschen mehr Vertrauen darf ein solcher Film schon haben, wie auch letztes Jahr Werk ohne Autor werden an und für sich spannende Ideen und Themen so plump aufbereitet, als hätten die Menschen vergessen, noch für sich selbst zu fühlen und zu denken.
OT: „Der Fall Collini“
Land: Deutschland
Jahr: 2019
Regie: Marco Kreuzpaintner
Drehbuch: Robert Gold, Jens-Frederik Otto, Christian Zübert
Vorlage: Ferdinand von Schirach
Musik: Ben Lukas Boysen
Kamera: Jakub Bejnarowicz
Besetzung: Elyas M’Barek, Franco Nero, Alexandra Maria Lara, Heiner Lauterbach, Pia Stutzenstein, Rainer Bock
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