Der Schock ist groß für die Sozialarbeiterin Anna Tate-Garcia (Linda Cardellini), als sie erfährt, dass zwei von ihr betreute Kinder tot aufgefunden wurden. Kurze Zeit vorher schien es ihnen noch gut zu sehen, wie konnte es da zu dieser Tragödie kommen? Deren Mutter Patricia Alvarez (Patricia Velásquez), die ihre Kinder im Schrank eingesperrt hatte, hat ihre ganz eigene Erklärung: La Llorona soll sie zu sich geholt haben. Anna schenkt der sichtlich verwirrten Frau nicht allzu viel Glauben. Doch dann geschehen auch ihren eigenen Kindern Samantha (Jaynee-Lynne Kinchen) und Chris (Roman Christou) eigenartige und besorgniserregende Dinge. Sollte an der Legende um die weinende Frau doch mehr dran sein?
Ob nun die DC Comics oder auch das Dark Universe, die Versuche à la Marvel ein zusammenhängendes Filmuniversum aufzubauen sind bislang alle gescheitert. Mit einer Ausnahme: die Conjuring-Reihe. Die hätte ursprünglich gar kein Universum sein sollen, wurde es erst nach und nach, weil die Nachfrage so groß war. James Wan, der 2013 mit Conjuring – Die Heimsuchung den Grundstein legte, verfolgt deshalb auch einen etwas anderen Plan. Anstatt wie bei der obigen Konkurrenz von Anfang an auf Querverbindungen zu bauen, gab es bei seiner Horror-Reihe für sich stehende Hauptfilme, aus denen einzelne Figuren für Spin-offs wiederverwendet wurden: Annabelle und The Nun.
Eine Legende neu aufgelegt
Bei Lloronas Fluch ist das anders. Grundlage bildet hier eine tatsächliche mexikanische Legende: La Llorona, die weinende Frau, soll ihre Kinder ertränkt haben und seither weinend nach ihnen suchen – mit schlimmen Folgen für zufällig anwesende Menschen. Das hat mit den bisherigen Dämonengeschichten der Reihe natürlich nichts zu tun, weshalb es hier auch keinen echten Zusammenhang mit den anderen Teilen gibt. Es drängt sich sogar der Eindruck auf, dass der Film eigentlich gar nicht im Zusammenhang von Conjuring geplant war, sondern erst nachträglich integriert wurde. Es tritt lediglich eine bekannte Nebenfigur auf, die dann noch nicht einmal etwas Nennenswertes zur Geschichte beizutragen hat.
Das größte Problem von Lloronas Fluch ist aber nicht der etwas offensichtliche Versuch, die treuen Fans der Reihe zu schröpfen. Schlimmer ist: Dem Film, der auf dem South by Southwest Festival 2019 debütierte, fehlt eine eigene Identität. Dass hier ein bisschen in der lateinamerikanischen Folklore gestöbert wurde, ist natürlich reizvoll. Allzu oft kommt man damit schließlich nicht in Berührung. Regisseur Michael Chaves, der hier sein Langfilmdebüt gibt, macht aber zu wenig draus. Vom lateinamerikanischen Flair bleibt nicht viel übrig, wäre da nicht der Nachname der gepeinigten Familie Garcia, man wüsste nicht einmal, dass das überhaupt ein Thema sein soll. Zwar spricht La Llorona selbst Spanisch, wirkt dabei aber wie ein Fremdkörper. Es ist nicht einmal klar, warum ein mexikanischer Geist in Los Angeles auftauchen sollte.
Und wo bleibt der Horror?
Auch das 70er-Jahre-Setting bleibt an der Oberfläche. Man sieht zwar, dass der Film nicht in der Gegenwart spielt, zu fühlen ist davon jedoch kaum etwas. Wer großzügig ist, kann das dann zeitlos nennen. Weniger nachsichtige Zuschauer dürfen auch etwas expliziter sagen, wie schrecklich austauschbar Lloronas Fluch geworden ist. Dem Drehbuchduo Mikki Daughtry und Tobias Iaconis fiel so gar nichts ein, was die Geschichte aus der unübersichtlichen Flut an Horrorstreifen hervortreten lassen könnte. Vom ersten bis zum letzten Moment weiß man immer genau, was als nächstes passieren wird. Es fehlen die Überraschungen, es fehlen nennenswerte Figuren. Vor allem aber fehlt die Spannung. Nicht einmal die Tragik der zugrundeliegenden Geschichte zeigt Wirkung. Lediglich die kuriosen Exorzismus-Methoden bleiben im letzten Drittel in Erinnerung. Den Rest hat man vergessen, noch bevor er angefangen hat.
Das größte Verbrechen des Beitrags der Fantasy Filmfest Nights 2019 ist dann auch, dass hier so gar kein Gruselfaktor auftreten will. Die besten Szenen kommen noch zu Beginn, danach gibt es die immer gleichen Jump Scares, die allein daraus bestehen, dass La Llorona aus dem Nichts auftaucht und entweder irgendwo steht oder auf einen zu rennt. Sicher, der wirklich große Nervenkitzel war noch nie die Stärke der Reihe. Von Anfang an setzte Conjuring auf ein Massenpublikum, das sich maximal zwei Horrorfilme im Jahr anschaut und deshalb leicht erschreckt werden kann. Bei den anderen Teilen gab es aber immerhin schöne Settings, Figuren mit Persönlichkeit, kleine Kameratricks oder originelle Momentaufnahmen, welche die 08/15-Geschichten aufwerteten. Bei Lloronas Fluch gibt es nichts hiervon, weshalb das Ergebnis noch einmal ein ganzes Stück eintöniger ist als der ohnehin nicht berauschende The Nun aus dem letzten Jahr. Da der aber, aus unerfindlichen Gründen, der erfolgreichste Teil der Reihe wurde, macht das nicht unbedingt Mut auf künftigen Schrecken. Vor allem da Chaves beim dritten Teil von Conjuring Regie führen soll, die Tendenz zum glattpolierten Minimal-Horror also wohl weitergehen wird.
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