An Einsatz mangelt es Sir Lionel Frost sicher nicht. Ständig reist der Forscher durch die Weltgeschichte, immer auf der Suche nach seltenen Tieren oder sagenumwobenen Fabelwesen. Der Erfolg lässt jedoch zu wünschen übrig. Vor allem aber die fehlende Anerkennung durch seine Zeitgenossen wurmt ihn schon sehr, wie gern würde er in den Club der großen, vornehmen Männer aufgenommen! Aber vielleicht bietet sich ihm jetzt genau diese Chance: Ein mysteriöser Brief erreicht ihn, der von einem riesigen Wesen berichtet, dem fehlenden Bindeglied zwischen Menschen und Affen. Diese Chance lässt sich Frost natürlich nicht nehmen, erlebt dabei jedoch bald schon eine große Überraschung …
Es muss schon irgendwie toll sein, so viel Geld zur Verfügung zu haben, dass man auch ganz unwirtschaftliche Projekte realisieren kann, ohne Druck. Einfach nur, weil man es will, weil es eine Herzensangelegenheit ist. Laika ist in dieser beneidenswerten Situation, gehört das Animationsstudio doch Phil Knight, einem der 30 reichsten Männer dieser Welt. Dass das Studio bislang keinen einzigen Hit vorweisen konnte, stört deshalb auch nicht weiter, Profitabilität ist in dem Fall weniger wichtig. Dafür gab es aber Anerkennung ohne Ende, von Animationsfans, die hier eine der letzten Bastionen der Stop-Motion-Technik bewundern dürfen. Aber auch von Kritikern: Vom Debüt Coraline (2009) bis zu Kubo – Der tapfere Samurai (2016) waren alle vier bisherigen Filme für einen Oscar als bester Animationsfilm nominiert. Auch bei den Annie Awards, einem speziellen Filmpreis für die Animationsbranche, ist Laika Dauergast.
Settings, die nicht von dieser Welt sind
Dort dürfte Mister Link ebenfalls ein gewichtiges Wörtchen mitzureden haben, denn was die US-Amerikaner hier abliefern, ist aus technischer Sicht gewohnt atemberaubend. Sie bleiben dabei ihren Wurzeln treu, erzählen mit handgefertigten Figuren und real erbauten Kulissen eine Geschichte, anstatt sich der inzwischen dominierenden Computer-Technik zu ergeben. Die kommt natürlich auch zum Einsatz, man lässt sich den Spaß hier schon was kosten. Aber es erfolgt eben mit Bedacht: Im Mittelpunkt stehen nach wie vor die Stop-Motion-Animationen, die auf einem derart hohen Niveau sind, dass sie von vielen wohl gar nicht als solche erkannt wird. An einigen Stellen merkt man die weniger geschmeidigen Bewegungen, gerade auch bei der Mundpartie, wenn Bild für Bild abgefilmt wurde. Wirklich auffallen dürfte das aber eher wenigen, Kinder dürften hier der Ansicht sein, einen „normalen“ Animationsfilm vor sich zu haben.
Die sind hier übrigens deutlich als sonst die Zielgruppe. Seit dem Debüt Coraline haben sich Laika zwar insgesamt stärker in Richtung Familienunterhaltung bewegt. Doch die düsteren Anfänge waren auch später noch zu spüren, wenn die jugendlichen Protagonisten große Gefahren überwinden mussten. In Mister Link spielt nun erstmals ein Erwachsener die Hauptrolle, zumindest auf der menschlichen Seite. Der Film selbst ist dafür kindlicher geworden, alberner. Gerade der Humor fällt auf: Wenn Frost und der zunächst Mr. Link getaufte Big Foot gemeinsame Abenteuer erleben, dann erinnern die Gags eher an die der großen Stop-Motion-Kollegen von Aardman Animations (Early Man – Steinzeit bereit, Wallace & Gromit – Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen): ein bisschen albern, kleinere Wortspiele, dazu jede Menge kauzige Figuren.
Auf alten Spuren
Das ist natürlich schon ein wenig schade. Gerade weil es so wenige Vertreter der Stop-Motion-Kunst gibt, war es immer schön, dass die zwei Studios so unterschiedlich auftraten. Umso mehr, da zwischen den einzelnen Filmen immer Jahre vergehen. Aber auch wenn Mister Link sich etwas von den eigenen Stärken wegbewegt, man an manchen Stellen auch den Eindruck hat, vielleicht doch stärker auf den Massenmarkt zu schielen: Der Film ist nach wie vor etwas Besonderes. So gibt es heute nur noch sehr wenige Werke, die sich klassischen Abenteuern verschreiben, bei denen die Entdeckerlust im Vordergrund steht. Wenn Forscher und Fabelwesen unterwegs sind, dann nicht um die Welt zu retten. Es ist eine deutlich persönlichere Geschichte, die auch das Wundern und Staunen nicht vergessen hat.
Regisseur und Drehbuchautor Chris Butler (ParaNorman) lässt sich hierfür auch viel Zeit, zum Übergang zum 20. Jahrhundert dauerten Reisen eben noch. Das eher geringe Tempo ist dabei kein Nachteil: Jeder Schauplatz darf ausgiebig genossen werden. Die haben es dann auch wirklich in sich, von den dicht bewachsenen Wäldern über das vornehme London bis zu diversen Fortbewegungsmitteln, die zum Einsatz kommen, die Settings sind ebenso abwechslungsreich wie detailliert. Und auch die Designs der Figuren sind echte Hinkucker, weil sich zumindest an der Stelle Laika seine Eigenständigkeit bewahrt hat. Mit den 08/15-Gestalten der CGI-Flut hat das hier nichts zu tun, was die einen freuen, die anderen eher abhalten wird. Am Ende wirkt das manchmal etwas orientierungslos und unschlüssig, als wüsste man nicht, ob man es den Leuten recht machen oder sein eigenes Ding durchziehen sollte, inhaltlich wie visuell. Aber es ist ein spaßiges Abenteuer über eine besondere Freundschaft mit einer erstaunlich ambivalenten Öko-Botschaft, die einen hoffen lässt, dass Laika auch in Zukunft fernab von wirtschaftlichem Druck Filme drehen kann.
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