Santa Sangre
© Koch Films

Santa Sangre

Santa Sangre
„Santa Sangre“ // Deutschland-Start: 31. Januar 1991 (Kino) // 25. April 2019 (DVD/Blu-ray)

Während der Junge Fenix (Adan Jodorowsky) als Zauberer-Kind im Zirkus seines rabiaten Vaters Orgo (Guy Stockwell) auftritt, ist seine Mutter Concha (Blanca Guerra) Trapezkünstlerin und Anführerin der fanatischen Glaubensgemeinschaft Santa Sangre. Fenix freundet sich bald mit dem taubstummen Mädchen Alma (Faviola Elenka Tapia) an. Doch als seine Mutter den Vater mit einer der neuen Attraktionen des Zirkus – einer tätowierten Frau (Thelma Tixou) – erwischt, übergießt sie diesen mit Säure. Der Vater tötet daraufhin die Mutter und die Tätowierte flieht zusammen mit der irritierten Alma. Fenix bleibt traumatisiert zurück. Zehn Jahre später sitzt Fenix (Axel Jodorowsky) noch immer in einer Nervenklinik – doch nicht mehr für lange …

Filmfans haben die unterschiedlichsten Gründe, warum sie zu einem Film greifen und einem anderen keine Chance geben. Neben der Story sind es oft die Personen vor und hinter der Kamera, die für Zuschauer ausschlaggebend sind. Neben Lieblingsschauspielern gibt es auch Regisseure, die diese Entscheidung auslösen können, weil sie eine besondere Handschrift haben oder ihnen ein Ruf vorauseilt. Bei Alfred Hitchcock bekommt man Suspense, bei Quentin Tarantino knackige Dialoge und bei Michael Bay ausufernde Explosionen. Wenn Cineasten den Namen Alejandro Jodorowsky lesen, schießen – bei Kenntnis seines Oeuvres – diverse Begriffe und Szenarien in den Kopf. Die Werke des inzwischen 90-jährigen Chilenen waren oft durch die surreale Inszenierung einer esoterischen Geschichte gekennzeichnet, gepaart mit teils drastischen und schockierenden Aufnahmen abseits mainstreamiger Sehgewohnheiten.

Eine lange Durststrecke
Nach ersten filmischen Gehversuchen in Frankreich gelang Jodorowsky 1970 mit El Topo der Durchbruch. Kurz später folgte mit Montana Sacra – Der heilige Berg (1973) das nächste fiebrige und ausschweifend bebilderte Werk des Regisseurs, welches im Laufe der Zeit Kult werden sollte. Vor allem diese beiden großen Erfolge verführten Jodorowsky zu seiner überlebensgroßen Vision der Verfilmung von Frank Herberts Roman Dune. Geplant als zehnstündiges Werk mit Musik von Pink Floyd und Orson Welles und Salvador Dali in zwei Hauptrollen, scheiterte das Mammutwerk an der Finanzierung. Schließlich inszenierte David Lynch Dune – Der Wüstenplanet (1984). Von diesem Rückschlag erholte sich Jodorowsky nur schwer. Abgesehen vom Drama Tusk (1980) gelang ihm erst 16 Jahre nach Der heilige Berg mit Santa Sangre (1989) ein Comeback.

Santa Sangre ist vielleicht einer von Jodorowskys „bodenständigsten“ Filmen. Damit ist vor allem die für seine Verhältnisse geradlinige Narration gemeint. Es gibt eine stringente Geschichte samt Exposition, Zeitsprung und Einführung von Charakteren. Von Mainstream-Sehgewohnheiten ist sein Werk jedoch trotzdem weit entfernt, zu skurril sind manche Figuren, zu brutal manche Morde und zu surreal und philosophisch viele Szenen. Als Produzent und Co-Autor diente übrigens Claudio Argento – der jüngere Bruder von Giallo-Meister Dario Argento – eine wahrlich interessante Mischung.

Jodorowsky agiert eigentlich nie innerhalb von festgeschriebenen Genregrenzen, am ehesten ist Santa Sangre jedoch ein Horrorfilm. Doch Horror wird hier nicht durch mysteriöse Schatten, Jump-Scares, tote Teenager und bedrohliche Musik definiert. Der Horror in Jodorowskys Werk entfaltet sich auf psychologischer Ebene. Merkwürdiger Humor, poetische Dialoge und grausamer, fast fühlbarer Schmerz transformieren zu einer Unwohlfühl-Atmosphäre. Themen wie Schuld, ödipale Beziehungen, historische Ereignisse und Selbstreflexion entfalten sich ohne Fragen zu beantworten, nur um am Ende in einem unerwarteten Twist zu enden.

Der Horror bleibt in der Familie
Getragen wird das Schauspiel, wie so oft bei Jodorowsky, von seinen eigenen Söhnen. Während der junge Fenix von Sohn Adan verkörpert wird, spielt Axel die ältere Version des Zauberers. Sohn Teo ist indes nur in einer kleinen Nebenrolle als Zuhälter zu sehen. Die Sohnemänner meistern ihre Aufgabe beeindruckend: Während Adan den jungen Fenix als aufgewecktes aber reflektiertes Kind zwischen Zirkuszelt und expressiven Eltern verkörpert, spielt Axel den erwachsenen Fenix als traumatisierten und untertänigen Sklaven seiner geschundenen Mutter. Der wohl bekannteste Name der Schauspielerriege ist jedoch wohl Guy Stockwell, der den alkoholkranken Vater Orgo verkörpert. Er war in den 60er- und 70er-Jahren in unzähligen amerikanischen Fernsehserien zu sehen.

Die Meisten werden das Kino von Jodorowsky entweder lieben oder aber überhaupt nichts damit anfangen können. Wer sich jedoch an die durchaus experimentierfreudigen Filme des Chilenen herantasten möchte, für den ist Santa Sangre vielleicht genau das richtige Werk. Es ist inhaltlich greifbar, handwerklich eindrucksvoll inszeniert und präsentiert ein überraschendes Ende. Ein 08/15-Horrorfilme ist es jedoch keinesfalls.



(Anzeige)

Der chilenische Filmemacher Alejandro Jodorowskys greift auch hier wieder in die surrealistische Kiste, jedoch nicht so tief wie bei den anderen Werken. Gefüllt mit esoterischen, religiösen und gewalttätigen Motiven ist der psychologische Horrorfilm Jodorowskys vielleicht greifbarstes Werk. Abseits von der üblichen einfallslosen Horrorkost zeigt der Regisseur, dass sich Ängste und Schuldgefühle nicht in Monstern oder Serienkillern manifestieren, sondern in den Menschen und ihrer Psyche selbst. Angesiedelt im autobiografischen Zirkusmilieu, lässt "Santa Sangre" den Zuschauer lächelnd, schockiert, beeindruckt, angeekelt und nachdenklich zurück.
8
von 10