Alles hinter sich lassen, noch einmal woanders komplett neu anfangen – das war das Ziel von Sarah O’Neill (Seána Kerslake). Und so schnappte sie sich ihren kleinen Sohn Chris (James Quinn Markey) und zog mit ihm in eine Kleinstadt. Genauer ist es ein Häuschen am Rande der Kleinstadt, nahe eines Waldes. Dieser hat von Anfang an eine große Anziehungskraft auf die beiden. Und tatsächlich geht Chris auch eines Tages dort verloren, obwohl Sarah ihm untersagt hatte, allein dorthin zu gehen. Glück im Unglück: Der Junge findet selbst wieder heraus. Oder vielleicht doch nicht? Unter dem Einfluss einer Nachbarin beschleicht die besorgte Mutter bald das Gefühl, dass da etwas nicht mit ihrem Kind stimmt …
Wälder sind aufgrund ihrer Unübersichtlichkeit und der vielen dunklen Plätze ein geradezu notorisch unheimliches Setting in Filmen. Wann immer eine Geschichte damit beginnt, dass jemand in ein abgelegenes Haus im oder am Wald zieht, dann weiß das Publikum bereits: Das gibt Ärger. Schließlich haben uns das unzählige Beispiele gelehrt, zuletzt etwa What Keeps You Alive, The Mimic oder Friedhof der Kuscheltiere. Da braucht es keine sonderlich große Fantasie, um auch bei The Hole in the Ground erst einmal Übles zu erwarten.
Natur kann ganz schön unheimlich sein
Zumal der Film, der beim Sundance Film Festival 2019 Weltpremiere feierte, auch keinen Zweifel daran lässt, dass der Ort etwas Böses beherbergt. Von Anfang an dominieren hier düstere Bilder, die einerseits die Weite dieser Gegend Irlands zeigen, aber eben auch die Abgelegenheit. Menschen scheint es hier kaum zu geben. Die wenigen, die es doch in der Einöde aushalten, sind offensichtlich geistig oder emotional etwas mitgenommen. Schließlich darf Sarah, noch bevor sie die Chance hatte, heimisch zu werden, einer offensichtlich verwirrten Frau begegnen, die kryptische Warnungen vor sich hinmurmelt.
Die Figur der verrückten Einheimischen, die als einzige die Wahrheit erkennt und ausspricht, die ist sicher nicht originell. Lee Cronin, der The Hole in the Ground inszenierte und auch das Drehbuch mitschrieb, ging es aber auch gar nicht um Originalität – weder hier noch anderswo. Von der ersten bis zur letzten Minute hält sich der Horrorfilm recht werkgetreu an das, was das Genre schon so oft vorgemacht hat. Eine hinter vorgehaltener Hand erzählte Legende, ein besessenes Kind, ein dunkler Wald, eine Zeugin, der niemand glauben mag – der Streifen ist weit von dem Neuanfang entfernt, den sich die Protagonisten erhoffen. Es handelt sich eher um eine Best-of-Sammlung des Horrorfilms.
Ein paar Punkte gibt es aber doch, die aus dem Film mehr machen als nur eine Genre-Katalognummer. Zum einen wären da die angesprochenen Bilder, die sich fast ausschließlich aus den unterschiedlichsten Brauntönen zusammensetzen. Eine Farbe also, die eigentlich als warm und natürlich gilt, hier aber in einer blass-finsteren Variante benutzt wird, die dem Setting eine schön unwirkliche Note gibt – gerade auch bei dem im Titel angesprochenen Loch. So als wären wir gar nicht in einem Wald unterwegs, sondern der Traumvariante eines Waldes. Gleichzeitig hat das Szenario aber auch etwas sehr geerdetes, im wahrsten Sinne des Wortes, wenn der Dreck tatsächlich noch zu spüren ist, als würden wir uns durch die Zeit graben.
Der Albtraum, der aus der Familie kam
Und dann wäre da noch die psychologische Komponente, die dem sehr physischen Setting entgegenläuft, aber doch gut dazu passt. Von Anfang ist The Hole in the Ground ein Blick in den Abgrund einer kaputten Familie, wenn Sarah – so wird impliziert – vor einer brutalen Vergangenheit flieht. Und auch das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn scheint trotz des Neustarts von alten Schatten verfolgt zu werden, die erst etwas verborgen, dann immer deutlicher werden. Ganz ausformuliert wird das am Ende nicht, Cronin weigert sich, auflösende Erklärungen der Ereignisse zu geben. Das wird einige im Publikum irritieren, gerade in einer Zeit, in der Horror mit expliziten Jump Scares gleichgesetzt wird. Hier geht es sehr viel zurückhaltender zur Sache.
Die große Spannung will dabei auch nicht aufkommen, Angst hat man in dem Horrordrama selten. Atmosphärisch ist es aber, was die europäische Coproduktion da auf die Leinwand geholt hat, an manchen Stellen sogar ein klein wenig verstörend, wenn an und für sich alltägliche, banale Szenen alptraumhaft verzerrt werden, bis man sich als Zuschauer von der Paranoia anstecken lässt und nicht mehr weiß: Was ist real, was eingebildet, was normal, was ein dämonischer Schrecken? Das kommt nicht an andere Psycho-Horror-Dramen à la Der Babadook heran, ist aber trotz der bekannten Mittel eine wohltuende Alternative zum glatten Mainstream-Horror, der inzwischen die Kinos dominiert.
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