Viele Jahre haben sie zusammengelebt, sind dabei unzertrennlich, zu besten Freunden geworden. Teilweise sogar zu mehr. Doch nun soll für Eze (Pol Monen), Marcos (Jaime Lorente), Celeste (Andrea Ros) und Marta (María Pedraza) damit Schluss sein. Sie wollen endlich eigene Wege gehen, ihre Träume erfüllen, denen sie schon so lange hinterherjagen. Also beschließen sie, ihren letzten gemeinsamen Abend in der Wohnung noch einmal kräftig zu feiern. Eine Entscheidung, die sie jedoch recht bald bereuen: Kaum zurück schlägt Celeste vor, ein kleines Spiel zu spielen, ohne zu ahnen, was sie damit anrichten wird.
Wen würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen? ist ein Film, der mit Sicherheit sein Publikum spalten wird. Was irgendwie logisch ist, da es sich eigentlich um zwei Filme handelt. Genauer nimmt das Netflix-Drama zur Mitte seiner rund 90 Minuten langen Laufzeit eine Wendung, welche die Geschichte in eine völlig andere Richtung führt, etwas ganz anderes daraus macht. Wer die erste Hälfte mochte, wird nicht unbedingt etwas mit der zweiten anfangen können. Umgekehrt gilt dasselbe.
Aus leise wird laut
Eine Dreiviertel Stunde lässt sich Regisseur Jota Linares, der auch das zugrundeliegende Theaterstück geschrieben hat, Zeit, um seine Figuren einzuführen. Da wird geredet, da wird geträumt, ein bisschen in Erinnerungen geschwelgt. Wen würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen? ist in dieser Phase ein sehr zurückgenommenes Drama, in dem nicht so wahnsinnig viel passiert, das aber sehr schön aufzeigt, was es heißt, eine derart lange gemeinsame Zeit beenden zu wollen: Die Atmosphäre schwankt zwischen Nostalgie und Aufbruchsstimmung, zwischen ausgelassen und melancholisch.
Doch gerade wenn man denkt, Wen würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen? wäre ein leiser Film über einen schwierigen Abschied, kommt die im Titel gestellte Frage ins Spiel. Ab diesem Zeitpunkt eskaliert alles, wird alles auf den Tisch gepackt, was die zwei Jungs und Mädels schon seit Langem wurmt. Aus dem leisen Drama wird ein hysterisches, das von Schmerz und unterdrückten Sehnsüchten handelt. Das alles mal anspricht, was schon immer Thema war, ohne thematisiert worden zu sein. Das ist als Mischung gewagt, funktioniert leider auch nicht so wie erhofft. Anstatt langsam die Intensität zu erhöhen, kennt Linares offensichtlich nur zwei Zustände: friedliches Miteinander und maximale Konfrontation.
Huch, wo kam das jetzt her?
Das fordert dem Publikum schon einiges an Glaubwilligkeit ab, überzeugend ist der Übergang nicht. Umso mehr, da der Katalysator wenig überzeugend ausfällt. Es ist nicht einmal das Spiel, was alles kaputt macht, obwohl es naheliegend und passend gewesen wäre. Wen würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen? entpuppt sich hier als Mogelpackung, nimmt eine kleine Bemerkung als Anlass, um den Schalter umzulegen. Was folgt ist ein Wechselbad der Gefühle. Einerseits sind die Darsteller in Folge nach wie vor stark, beherrschen durchaus den Wechsel von leise zu laut, von wehmütig zu aggressiv. Aber auch sie können nicht verhindern, dass der Film auf einmal zu einer billigen Seifenoper mutiert.
Vor allem auf der Dialogseite stehen einem zuweilen vor Entsetzen die Haare zu Berge. Dass Leute im Eifer des Gefechts etwas ausfallend werden, vor allem wenn dabei Alkohol im Spiel ist: in Ordnung. Dennoch sollte irgendwie nachvollziehbar sein, wie ein Satz aus dem vorangegangenen entsteht. Hier werden jedoch willkürlich Worte aneinandergereiht, ohne inhaltlichen Zusammenhang oder ein Gespür für menschliches Miteinander, manchmal darf es auch kitschig werden. Wenn die dunklen Geheimnisse dann auch noch derart konstruiert sind, wird in Windeseile viel von dem zunichte gemacht, was den Film auszeichnet. Und das ist mehr als ärgerlich: Hinter dem Blödsinn verbirgt sich ein durchaus sehenswertes Drama über die Dynamiken einer Freundschaft und gescheiterte Träume. Aber das war Linares offensichtlich nicht genug und schoss stattdessen kräftig übers Ziel hinaus.
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