Heidi
"Heidi" gilt heute als Anime-Klassiker und machte die Reihe World Masterpiece Theater auch außerhalb Japans zu einem festen Bestandteil deutscher Kinderzimmer.

World Masterpiece Theater [Special]

Die Kinder von heute lesen viel zu wenig! Ein Vorwurf, der sicher dem einen oder anderen bekannt vorkommt – auch deshalb, weil er selbst schon recht alt ist, seit dem Auftauchen des Fernsehens. In Japan reagierte man jedoch schon sehr früh darauf und machte das Beste daraus: Wenn die Kinder schon nicht mehr die Bücher in die Hand nehmen, dann sorgen wir doch wenigstens dafür, dass sie die Geschichten anderweitig erfahren: in Form von Animeserien. Das Ergebnis erfreute sich großer Beliebtheit, mehrere Dutzend Serien sind im Laufe der Zeit im Rahmen des World Masterpiece Theater entstanden, welche sich Klassiker der Weltliteratur schnappten und daraus kindgerechte Nachmittagsunterhaltung machten.

Wobei das mit der Weltliteratur nicht zu wörtlich genommen werden sollte. So fiel der Startschuss heute vor 50 Jahren am 6. April 1969 mit einer Serie, dessen Vorlage kein Roman, sondern ein Comic war. Genauer lag Dororo der gleichnamige Manga von Osamu Tezuka zugrunde, in dem der herrenlose Samurai Hyakkimaru zusammen mit einer jungen Diebin Jagd auf Dämonen macht. Weiter ging es mit zwei Serien über die Mumins-Kinderbücher der finnischen Autorin Tove Jansson sowie Adaptionen von Hans Christian Andersens Märchen. Doch obwohl schon früh europäische Werke adaptiert wurden, hierzulande bekam man kaum etwas von der Reihe mit. Die ersten Serien wurden auch nie in andere Sprachen übersetzt.

Ein Mädchen erobert die Welt
Das sollte sich erst in den 1970ern ändern. Genauer war es ein kleines Mädchen, das 1974 den Startschuss für den hiesigen Siegeszug der Reihe setzte: Heidi. Dass die Geschichte um das Schweizer Waisenkind, das erst in den Bergen aufwächst, bevor es nach Frankfurt zieht, in Japan umgesetzt wurde, das ahnte damals natürlich niemand im Publikum. Gleiches galt für die Folgeserien Niklaas, ein Junge aus Flandern, Marco und Rascal, der Waschbär. Dafür waren die Geschichten einfach zu westlich. Das Konzept Anime gab es damals bei uns auch noch nicht. Heute gelten die Serien aber als Klassiker der japanischen Zeichentrickkunst, nicht zuletzt, weil diverse davon von Isao Takahata und Hayao Miyazaki stammen, den späteren Gründern des legendären Studio Ghibli. Und das wurde ab den 1990ern durch die Filme Prinzessin Mononoke und Chihiros Reise ins Zauberland so berühmt, dass viele die Frühwerke der Großmeister wiederentdeckten.

Dafür geriet das World Masterpiece Theater, das offiziell eine Reihe von Titeln hatte, selbst etwas in Vergessenheit. Die Serien wurden nur noch teilweise übersetzt, Mitte der 90er gar nicht mehr – ausgerechnet bei einer Serie über die Schäferhündin Lassie, die in anderen Fassungen eine große Kinderheldin wurde. Und auch in Japan sank die Popularität, mit dem ebenfalls nicht übersetzten Remi, Nobody’s Girl nach Hector Malots Roman Sans famille – Heimatlos war 1997 Schluss. Zwar versuchte man zehn Jahre später das Comeback mit einer Adaption von Victor Hugos Klassiker Les Misérables. Aber die Zuschauerzahlen enttäuschten, 2009 war die Reihe endgültig zu Ende. Und das, obwohl die 26. und letzte Serie auf eine zurückgriff, die zu den populärsten der Reihe zählt: Before Green Gables, das die Vorgeschichte von Anne mit den roten Haaren erzählt. Aber nicht einmal der große Name zog noch, das Theater schloss vor zehn Jahren zum letzten Mal seinen Vorhang.

World Masterpiece Theater Rezensionen

Weitere Klassiker-Adaptionen

Neben den offiziellen Serien, die im Rahmen des World Masterpiece Theater produziert wurden, gab es in den 1970ern und 1980ern eine Reihe weiterer Animes, die auf Klassikern basierten. Einige davon erlangten selbst großen Ruhm, größer als bei so manchem „echtem“ Teil. Darunter zählen neben den orientalischen Märchen von Sindbad (1975) und der sehr freien Adaption von Lewis Carrolls Alice im Wunderland (1983) unter anderem die Pinocchio-Serie aus dem Jahr 1972, Die Biene Maja (1975) oder Nils Holgersson (1980) über den gleichnamigen Jungen, der gemeinsam mit den Wildgänsen große Abenteuer erlebt. Und auch die Mumins-Adaption aus den 1990ern hat mit der Reihe nichts zu tun, obwohl sie dasselbe Material wie die Serien aus den 1970ern verwendet.



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