Fünf Jahre sind vergangen, seitdem Thanos (Josh Brolin) mit einem Fingerschnippen die Hälfte aller Lebewesen auf der Erde ausgelöscht hat. Die Überlebenden versuchen zwar, so gut es geht den Alltag zu meistern, doch die Trauer um die Verschwundenen ist noch immer groß. Doch dann taucht eines Tages Scott Lang (Paul Rudd) auf, der all die Zeit unfreiwillig im Quantenraum verbracht hat, in der die Gesetze der Zeit anders laufen. Bedeutet das, dass sich auf diese Weise die Tragödie rückgängig machen lässt? Die Chancen dafür stehen schlecht. Dennoch machen sich Tony Stark (Robert Downey Jr.), Steve Rogers (Chris Evans), Bruce Banner (Mark Ruffalo), Thor (Chris Hemsworth), Natasha Romanoff (Scarlett Johansson), Clint Barton (Jeremy Renner), James Rhodes (Don Cheadle), Lang, Rocket und Nebula (Karen Gillan) auf den Weg, um auf diese Weise vielleicht doch noch ihre Freunde zu retten.
Alles hat einmal ein Ende. Die Avengers haben sogar zwei. Auch wenn aus Marketinggründen vorab hektisch bestritten wurde, dass das dritte und vierte Gipfeltreffen der Superhelden letztendlich zwei Teile eines Films sind – so etwas lässt sich schlechter verkaufen –, war letztendlich doch klar, dass genau das passieren würde. Und tatsächlich: Infinity War foltert das Publikum mit einem Ende, das so offen ist, dass es ohne eine Fortsetzung nicht komplett ist. Endgame wiederum braucht die Vorgeschichte, um überhaupt irgendwie als Film durchzugehen. Und selbst das ist nicht genug: Wer von dem am meisten erwarteten Film des Jahres profitieren will, muss nahezu alle 21 Titel zuvor gesehen haben, welche das Marvel Cinematic Universe inzwischen ausmachen.
Mehr Staffelfinale als Film
Das ist natürlich nichts Neues. Querverbindungen und Anspielungen gab es von Anbeginn der Reihe. Vor allem die Team-Filme The Avengers und Age of Ultron setzten Vorkenntnisse voraus. Nicht weil die jeweiligen Geschichten so viel hergeben würden, sondern weil die Zeit nicht reichte, um die Figuren und ihre jeweiligen Beziehungen zu erklären. Wer zuvor nicht die Solo-Filme gesehen hatte, konnte zwar der Handlung folgen und die Krach-Bumm-CGI-Action bewundern, wusste oft aber nicht, wer diese ganzen Leute sein sollen und warum sie tun, was sie tun. Bei Endgame ist das noch einmal deutlich verschärft. Genauer funktioniert der Film als Einzelwerk praktisch gar nicht mehr – was durchaus mit inhaltlichen Mängeln zusammenhängt.
Über weite Strecken ist Endgame letztendlich nicht mehr als reiner Fanservice. Die Geschichte selbst ist Nebensache, Hauptsache es werden an jeder Ecke Figuren aus dem vergangenen Jahrzehnt eingebaut. Die haben oft nicht wirklich was zu tun, das etablierte Regie-Duo Anthony und Joe Russo verteilt einfach nur Geschenke, ohne sich darum zu kümmern, ob das dann auch wirklich passt und verdient ist. Es soll nur möglichst jeder irgendwo auf seine Kosten kommen. Effektiv ist das natürlich, wer die Figuren mag und im Idealfall etwas nostalgisch veranlagt ist, kommt gar nicht mehr aus dem Staunen, Lachen und Schluchzen heraus. Nahezu jeder Held und jede Heldin wird irgendwann irgendwo bedacht, sogar kleine Nebenfiguren schauen mal vorbei – darunter tatsächlich auch eine, die es nur in einer Marvel-Serie zu sehen gab. Ein Novum für die Reihe.
Nur hat dies zur Folge, dass der Film komplett überladen ist. Drei Stunden ist Endgame lang, was dem Publikum schon jede Menge abverlangt. Inhaltlich ist das kaum zu rechtfertigen, dafür ist die Geschichte schon sehr dünn. Sie ist zudem völliger Blödsinn. Sicher, das haben Comic-Adaption oft so an sich, wenn Götter, Maschinen und Supermenschen aufeinandertreffen, von mystischen Megasteinen und galaktischen Reisen die Rede ist. Ein bisschen mehr Mühe hätte man sich aber schon geben können, die einzelnen Elemente sinnvoll miteinander zu verbinden, anstatt einfach nur eine Checkliste abzuarbeiten. Nicht nur dass es hier ständig zu Widersprüchen kommt, die manchmal kommentiert, oft ignoriert werden. Schon das Grundszenario setzt voraus, dass offensichtliche Lösungen gar nicht erst in Betracht gezogen werden. Die Figuren im Film mögen Raumschiffe bauen können, die Welt vor fiesen Gefahren bewahren und komplizierte Raum-Zeit-Berechnungen anstellen. Gesunden Menschenverstand haben sie aber keinen. Wäre auch blöd, weil man erst durch die partielle Ignoranz die Geschichte in dieser Form erzählen kann.
Dass der Film über weite Strecken dann aber doch sehenswert ist, das verdankt er seinen Figuren. Anders als bei den vorangegangenen Avengers-Filmen, die viel zu sehr damit beschäftigt waren, die ganzen Charaktere überhaupt erst zu versammeln, haben die Russo-Brüder hier den Luxus, sich einmal wirklich auf diese einzulassen und mitten einzusteigen. Das ist der Vorteil, wenn durch das besagte Fingerschnippen ein Großteil der Helden nicht mehr da ist, gibt mehr Raum zur Entfaltung. Das ist vor allem zu Beginn beeindruckend, wenn die Übriggebliebenen sich mit dem Schicksal auseinandersetzen müssen, überlebt zu haben, Familie und Freunde verloren zu haben. Schon das Ende von Infinity War rührte zu Tränen, auch wenn man als Zuschauer genau wusste, dass die sowieso alle wiederkommen. Hier geht es aber noch weiter, wenn aus den strahlenden Helden teils erbärmliche Wracks geworden sind. Einiges davon wird durch billige Witze zu verstecken versucht, was den Kontrast zu dem Schmerz aber nur umso stärker macht. Wir waren 21 Filme dabei, wenn die Avengers ihre Feinde auseinanderrissen. Jetzt sind wir dabei, wenn sie selbst auseinandergerissen werden.
Bewegender Abschluss mit zahlreichen Mängeln
Was aber auch kein Dauerzustand sein kann. Wenn sich der klägliche Rest noch einmal aufrafft, letzte Kräfte mobilisiert, um in einem letzten Geflecht die Tragödie rückgängig zu machen, dann ist das eben nicht der übliche Kampf gegen einen gesichtslosen Wegwerffeind. Es ist der Kampf um Leute, die sie im Laufe der Jahre lieben gelernt haben. Und es ist ein Kampf darum, wer sie eigentlich selbst sind. Am stärksten ist der Film dann auch, wenn er sich darauf konzentriert. Auf die Figuren, ihr Verhältnis untereinander, ihre Gefühle. Action ist dabei erstaunlich wenig angesagt, die Konfrontation findet eher innerhalb an. Umso enttäuschender ist, wenn es dann doch noch mal zur Sache geht. Die obligatorische Massenschlacht, die bei jedem Avengers-Film kommt, ist erschreckend einfallslos, sieht teilweise zudem billig aus. Auch da steht Fanservice an oberster Stelle, der Inhalt interessiert niemanden.
Aber zu dem Zeitpunkt wurde man bereits derart stark durch die Mangel genommen, dass man die diversen Schwächen – zu denen noch platte Witze und kaum genutzte, teils schändlich degradierte Figuren zählen – nicht mehr so streng sieht. Es war eine anstrengende Reise, über 22 Filme hinweg, eine teils holprige Reise mit gelegentlichen Fehlschritten, bei der man froh ist, dass sie jetzt zumindest teilweise ein Ende findet. Aber es war eben auch eine Reise, auf deren Weg man so viele liebenswürdige, witzige, kuriose, starke und manchmal eben sehr menschliche Figuren getroffen hat, dass sie sich am Ende doch gelohnt hat.
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