Der Stein zum Leben
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Der Stein zum Leben

Der Stein zum Leben
„Der Stein zum Leben“ // Deutschland-Start: 23. Mai 2019 (Kino)

„Wenn Ihr Vater ein Baum gewesen wäre, welcher wäre das? Welches Metall? Welche Farbe?“ Es sind schon recht ungewöhnliche Fragen, die Michael Spengler da stellt. Fragen, über die man erst einmal eine Weile nachdenken muss. Aber es ist auch eine ungewöhnliche Arbeit, die er da vollrichtet. Sicher, Steinmetze gibt es einige in Deutschland, die für Angehörige an Grabsteinen arbeiten. Doch schon sein Wunsch, eben nicht von Grabsteinen zu sprechen – er zieht den Begriff denkwerk vor –, macht klar: Für ihn ist das keine bloße Arbeit, sondern eine Aufgabe. Seine Werke sollen mehr sein als ein nüchterner Wegweiser, auf einem Friedhof das richtige Grab ausfindig zu machen.

Regisseurin Katinka Zeuner war ihm einige Jahre zuvor begegnet, als ihre eigene Mutter gestorben war, und war von der Herangehensweise Spenglers angetan. Anstatt sich mit anonymen und austauschbaren Grabfloskeln und Standardsteinen zu begnügen, sucht er gemeinsam mit den Angehörigen eine Möglichkeit, in diesen Steinen die Essenz der Verstorbenen festzuhalten. Das hört sich vielleicht erst nach ein bisschen Esoterik nach, nach New Age, ist aber doch ein wichtiger Teil des Trauerprozesses, soll helfen, den Verlust zu verarbeiten.

Zwischen Tod und Leben
Manchmal wirkt Spengler dann auch wie ein Therapeut, wenn er seinen Kunden und Kundinnen zuhört. Denn jede Geschichte ist anders, erfordert einen eigenen Zugang. Seinen Vater verloren zu haben, der ein langes ausgefülltes Leben geführt hat, das ist schon etwas anderes, als sich von seinem zweijährigen Sohn verabschieden zu müssen, der einer Krankheit erlegen ist. Die denkwerke, die hier entstehen, erfüllen daher immer zwei Funktionen. Sie sollen die Toten ehren, ihnen gerecht werden und ausdrücken, wer sie waren. Gleichzeitig finden sich aber auch die Angehörigen darin wieder – eine mitunter knifflige Ambivalenz.

In Der Stein zum Leben begleitet Zeuner die Angehörigen von insgesamt drei Verstorbenen bei ihren jeweiligen Entscheidungsprozessen, von den ersten Gesprächen bis zum finalen Stein. Das ist zwangsweise ein schwieriger Prozess für alle Beteiligten, ein sehr intimer Prozess auch. So intim, dass man sich als Zuschauer manchmal fragen muss: Darf ich hier überhaupt dabei sein? Was ist meine Rolle in dieser persönlichen Auseinandersetzung? Bin ich nicht bloß ein Voyeur, der sich am Leid der anderen labt?

Eine leise Auseinandersetzung abseits des Dramas
Doch von billigem Melodram ist nichts in Der Stein zum Leben zu spüren. Auch wenn die Geschichten zwangsweise traurig sind, der Film selbst ist es nicht. Zeuner verzichtet darauf, mit schwermütiger Musik das Publikum zu Tränen erweichen zu wollen, es gibt keine Szenen, in denen die Gefühle der Angehörigen vorgeführt werden. Der Beitrag der DOK Leipzig 2018 ist auch nicht so morbide, wie es das Thema befürchten lassen könnte. Auch deshalb weil nicht der Tod als solches im Mittelpunkt steht.

Der Dokumentarfilm dient natürlich schon dazu, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Für viele Menschen kommt der Tod sehr plötzlich, auch weil in der Gesellschaft allgemein ungern darüber gesprochen wird. Der Stein zum Leben wird daran im Großen nichts ändern, ermuntert aber im Kleinen dazu, sich Gedanken zu machen. Nimmt dem Ganzen auch ein wenig den Schrecken, ohne sich gleich in Durchhalteparolen und Glückskekssprüche zu stürzen. Stattdessen wird das Leben gewürdigt, ein bisschen auch gefeiert, wenn beides hier zusammenkommt, der Anfang und das Ende, die Freude und die Trauer, ein Stein eben doch mehr ist als ein Stein, ein Mensch mehr als ein Name unter vielen, der darauf eingraviert ist.



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„Der Stein zum Leben“ erzählt von einem Steinmetz, der einen eigenen Zugang zu seiner Arbeit sucht: Statt vorgefertigter Grabsteine gibt es zusammen mit den Angehörigen entwickelte Erinnerungsstücke, welche die Persönlichkeit und das Leben der Verstorbenen einfangen sollen. Auf Voyeurismus und Melodram wird verzichtet, vielmehr ist der Dokumentarfilm eine Aufmunterung, sich mit dem Thema zu befassen.