Der Fehler, den viele Horrorfilme heute machen, so erfahren wir hier, ist gleich mit dem Fantastischen zu beginnen, anstatt sich um die Figuren und ihre Situation zu kümmern. Erst wenn wir mit den Menschen auf der Leinwand mitfühlen, kann uns ihr Schicksal nahegehen, können uns ihre Erlebnisse mit dem Bösen auch selbst erschrecken. Das ist eine der Anekdoten, mit denen Friedkin Uncut den enormen Erfolg von Der Exorzist zu erklären versucht. Ein Film, der für das Horrorgenre in etwa die Bedeutung hatte – auch das wird hier gesagt – wie Star Wars: Episode IV – Eine neue Hoffnung im Science-Fiction-Bereich. Ein Phänomen, das an den Kinokassen einschlug und lange Zeit der erfolgreichste Film seiner Art war.
Dass der Dokumentarfilm über William Friedkin ausgerechnet mit diesem Werk beginnt, ist verständlich. Von den etwa 20 Filmen, die der Regisseur im Laufe seiner mehr als 50 Jahre dauernden Karriere gedreht hat, war die Geschichte um ein von einem Dämon besessenes Mädchen mit Abstand die erfolgreichste. Es finden sich sogar weit mehr Flops als Hits im Oeuvre des Altmeisters, zumindest in kommerzieller Sicht. Daraus macht William Friedkin – Hollywoods Enfant terrible bzw. Friedkin Uncut auch kein Geheimnis, das kolossale Scheitern von Atemlos vor Angst, das 1977 vier Jahre nach dem dämonischen Blockbuster folgte, wird durchaus beim Namen genannt – auch wenn der Film von Kollegen nachträglich in den Himmel gelobt wird.
Unter (Film-)Freunden
Von denen gibt es hier eine ganze Menge. Regisseure wie Quentin Tarantino und Wes Anderson kommen zu Wort, ebenso Schauspieler und Schauspierinnen, mit denen er zusammengearbeitet hat – darunter Ellen Burstyn und Matthew McConaughey. Zu den spannenderen Aspekten des Films gehört dann auch die Art und Weise, wie Friedkin mit seiner Crew zusammenarbeitet. Und wie er sie zusammenstellt. Die lustigste Anekdote betrifft erneut Der Exorzist und erzählt, wie es dazu kam, dass der zuvor nur als Bühnenautor bekannte Jason Miller seine Rolle bekam, obwohl diese eigentlich längst besetzt war.
Ansonsten stechen inhaltlich noch die Erfahrungen Friedkins im Dokumentarfilmbereich hervor, die er in French Connection – Brennpunkt Brooklyn (1971) einsetzte, das ihm einen Oscar als bester Regisseur bescherte. Goldjungen für den besten Spielfilm und den besten Hauptdarsteller gab es als kleinen Bonus oben drein. Wer über die beiden wichtigsten Filme im Gesamtwerk des US-Amerikaners erfahren möchte, der ist hier an einer kompetenten Adresse, sofern er nicht schon über Vorkenntnisse verfügt. Aber auch andere Titel werden nach einem chronologisch völlig willkürlichen Prinzip angesprochen, darunter Leben und Sterben in L.A. und Killer Joe.
Mut zur Lücke
Umfassend ist der Dokumentarfilm, der bei den Filmfestspielen von Venedig 2018 seine Weltpremiere feierte, jedoch nicht. Viele seiner Werke werden erst gar nicht angesprochen, darunter all die Filme, die er in den 90ern und 00ern gedreht hat und an die sich vermutlich auch niemand mehr erinnern wird. Oder möchte. Auch persönliche Einblicke gewährt Friedkin Uncut, trotz seines vielversprechenden Titels, kaum. Regisseur Francesco Zippel verzichtete darauf, allzu streng oder neugierig nachzufragen. Ein gemütlicher Kaffee mit dem Vorbild, mehr kann oder will das hier nicht sein.
Ob das dem Publikum reicht, hängt von den eigenen Erwartungen ab. Filmenthusiasten werden sich wohl etwas mehr und originellere Einblicke erhofft haben, auch die Abwechslung von Filmszenen und sprechender Köpfe ist nicht unbedingt die ganz große Filmkunst. Spaß macht es aber schon, Friedkin bei seinen Erinnerungen zuzuhören, er eine Art Best of seines langen Schaffens präsentiert. Denn der Filmemacher ist schon ein guter Erzähler, zudem gut aufgelegt, der mal mit deutlichen Worten, mal auch mit allgemeinen Überlegungen für Überraschungen sorgt. Wie oft werden schon Hitler und Jesus im selben Satz verwendet?
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