Eigentlich war Shiga nur in dem Krankenhaus, um sich die Fäden seiner Blinddarmoperation entfernen zu lassen. Da bemerkt er ein Buch, das jemand vergessen haben muss. Sakura gehört es, ein Tagebuch, in dem sie alles über ihre Krankheit festhält – eine unheilbare Erkrankung der Bauchspeicheldrüse lässt ihr nur wenige Monate. Sehr viel gemeinsam haben die beiden nicht, auch wenn sie in dieselbe Klasse gehen. Sie ist extrovertiert und mit so ziemlich jedem befreundet, dem sie über den Weg läuft. Er ist eher der Einzelgänger, zieht die Gesellschaft von Büchern vor. Doch trotz der großen Unterschiede beginnen die beiden, viel Zeit miteinander zu verbringen und einige letzte Träume von Sakura zu erfüllen.
Auch wenn der Titel vielleicht solche Assoziationen wecken mag, bei I Want to Eat Your Pancreas sehen wir keinen weiteren Zombie-Film. Vielmehr handelt es sich um die bereits vierte Fassung eines in Japan sehr bekannten und beliebten Dramas. Den Anfang macht es als Webroman aus der Feder von Yoru Sumino. Anschließend stand eine Manga-Fassung auf dem Programm. Version Nummer drei ist ein Live-Action-Film namens Let Me Eat Your Pancreas, der im Land der aufgehenden Sonne ein Kassenschlager wurde. Und nun also die Anime-Version, die bislang in der Sammlung noch fehlte.
Zu viel, zu wenig
Shinichirō Ushijima ist es, der diese Lücke schließen möchte. Regieerfahrung hat er zwar schon ein wenig, inszenierte einzelne Folgen von One Punch Man und Death Parade. Ein Film ist dann aber doch noch mal etwas anderes, wie er – und das Publikum – schmerzlich feststellen dürfen. Denn so ganz haut das hier mit den Gewichtungen nicht hin. Szenen, die durchaus Stoff mitbringen, der sich für Auseinandersetzungen lohnt, werden halbherzig abgehandelt. Dafür sind andere umso breiter ausgeführt.
Vor allem das Ende will und will kein Ende nehmen, verliert sich in ewig wiederholten und variierten Gedanken. Das ist auch deshalb etwas bizarr, da I Want to Eat Your Pancreas mit diesem ja begonnen hat. Zum Zeitpunkt, wenn die Geschichte einsetzt, ist Sakura bereits gestorben, Shiga ringt mit sich, ob er der Freundin die letzte Ehre erweisen soll. Was folgt ist ein beliebter Kniff in Filmen: Ein Rückblick erzählt, wie es eigentlich zu all dem kommen konnte. Zum Schluss macht der Film da weiter, wo er begonnen hat.
Lasst uns über den Tod sprechen …
Strukturell ist das nicht wirklich außergewöhnlich, inhaltlich dafür durchaus. Die meisten Animes mit jugendlichen Protagonisten und Protagonistinnen sollen als Identifikationsfläche fürs Publikum dienen, wenn wir mit ihnen die Welt retten oder wenigstens die große Liebe finden. Ein Film über eine sterbende Schülerin? Das ist selten. Denn das will eigentlich niemand sehen. Ein wenig erinnert das an Die letzten Glühwürmchen, das auf eine ganz ähnliche Weise rückwärts die Vorgeschichte eines frühen Todes erzählt. Nur ist I Want to Eat Your Pancreas nicht annähernd so bewegend wie der Klassiker von Studio Ghibli. Dafür ist Sakura mit ihrer aufgedrehten, übergriffigen Art zu nervig. Auch Shiga ist nicht unbedingt der große Sympathieträger oder interessant. Was an dieser Stelle fehlt, will der Film an anderer mehr als kompensieren: Es ist mal wieder großes Melodram angesagt.
Dafür sieht der Beitrag vom Japan Filmfest Hamburg 2019 sehr hübsch aus. Das noch junge Animationstudio VOLN, bislang nur mit Co-Produktionen von Serien in Erscheinung getreten, hat eine schöne pastellfarbene Welt erschaffen, irgendwo zwischen Idylle und Realität. Auch die gelegentlichen 3D-Elemente fügen sich gut ein, die Animationen sind guter Durchschnitt. Für die Freunde emotionaler Animes ist I Want to Eat Your Pancreas daher ein potenziell interessanter Neuzugang, zumal es nur wenige Filme gibt, die sich mit dem Thema der Sterblichkeit auseinandersetzen und immer wieder gute Punkte angeführt werden. Im Vergleich zu nachdenklichen Titeln wie Colorful oder Mirai – Das Mädchen aus der Zukunft ist das hier jedoch nur zweite Wahl.
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