Bochums Steine war DIE deutsche Rock’n’Roll-Band der 80er Jahre. 30 Jahre später ist vom damaligen Glanz und Ruhm nicht mehr viel übrig. Alle fünf Bandmitglieder gingen nach dem letzten Auftritt getrennte Wege. Gitarrist Rainer (Jan Josef Liefers) trifft es nun besonders hart; die Diagnose Hirntumor stellt ihn vor ein niederschmetterndes Ultimatum. Rainer beschließt, die Zeit, die er noch hat, zu nutzen und versucht, neben der Rettung seiner Vater-Sohn-Beziehung, seine ehemaligen Bandkollegen von einem Comeback-Auftritt der Steine zu überzeugen, was sich als schwieriges Unterfangen herausstellt, da gerade Rainer den letzten Auftritt ruiniert und damit die Trennung der Band provoziert hatte.
Überzeugendes Ruhrpott-Quintett
Wir lernen fünf Männer jenseits der 50 kennen, die alle in einer individuellen Lebenskrise stecken. Schlagzeuger Bulle (Armin Rohde) hat seine Frau verloren und steckt seitdem fest im eigen gebauten Käfig der Bindungsangst und Stillstand. Bassist Konni (Matthias Bundschuh) arbeitet als Lehrer, den niemand ernst nimmt, und dessen Frau sich sexuell ausprobieren möchte (ohne ihn, versteht sich). Der Dritte im Bunde ist Thomas, gespielt von Richy Müller, der seine Rockstar Attitude nie abgelegt hat und nie bei sich selbst angekommen ist. Von Sänger Ole (Jürgen Vogel) erfahren wir nicht viel, nur dass er damals mit Bandkollege Rainer konkurriert hat und er der Zeit mit der Band immer noch nachtrauert. Rainer war es, der ihn damals tätlich angriff und seitdem nichts mehr von Ole gesehen und gehört hat. Rainer selbst ist geschiedener Vater, dem es nicht gelingen will, eine stabile Beziehung zu seinem Sohn aufrecht zu erhalten. Er steht immer zwischen seiner Musik und seinem Sohn, selbst nach der schrecklichen Diagnose. Beides unter einen Hut zu bekommen, wird Rainers letzte Aufgabe.
Regisseur Philipp Kadelbach (Auf kurze Distanz) ist die perfekte Besetzung der Figuren gelungen. Sofort kauft man den anfangs noch zerstrittenen Männern ab, dass sie sich schon ewig kennen und viel miteinander erlebt haben. Auch die Dialoge mit den weiblichen Figuren sind sehr authentisch, witzig, emotional. Bochum als Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist Autor Frank Goosen (Radio Heimat, Sommerfest) verschuldet, auf dessen Roman dieser Film beruht. Doch nicht die Stadt Bochum steht im Mittelpunkt des Films, sie wird gar nicht sonderlich porträtiert. Der Fokus liegt definitiv auf den fünf Musikern und den Päckchen, die jeder einzelne von ihnen zu tragen hat.
Nichts in So viel Zeit ist neu oder originell. Vorausschaubar ab der ersten Minute entfacht die Story keine Wellen der Begeisterung. Noch nicht einmal dem Zwist zwischen Rainer und Ole, der seit 30 Jahren besteht, wird genügend Raum geboten. Die Geschichte läuft ohne Abzweigungen in einem Wisch vor unseren Augen vorbei. Einzig und allein die Besetzung ist Schuld daran, dass wir dran bleiben, schmunzeln, mitfiebern und uns dabei wohlfühlen, und das obwohl das Thema Krebs hier als völlig überdrehtes Stilmittel den Bösewicht spielen soll.
Eine Midlife-Crisis hätt’s auch getan
Rainers Krebserkrankung wird sehr banal in die Story hineingeworfen, um, so wirkt es, den Film überhaupt erst in Gang zu kriegen. Sie wird auch gar nicht weiter beachtet, was den Film etwas unstimmig wirken lässt und die Ernsthaftigkeit dieses Themas völlig untergräbt. Wenn ich mich an ein solches Thema rantraue, dann bitte auch mit der nötigen Tiefgründigkeit und Respekt. Statt gleich mit dem Todesurteil auf die Pauke zu hauen, hätte doch auch eine harmlose Männerkrise zum Umdenken anregen können, in der ja schließlich alle fünf Männer bis zum Hals drin stecken.
Abgesehen von der oberflächlichen Behandlung des Themas Krebs ist So viel Zeit durchaus sehenswert. Vielleicht eher weniger als Kinoformat, doch als TV-Ausstrahlung allemal. Die fünf Hauptdarsteller überzeugen mit Authentizität und Witz und verleihen der vorausschaubaren Story eine angenehme Würze.
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