Künstler und ihr Privatleben, das ist ja immer so eine Sache. Während die einen möglichst wenig über ihr Leben abseits des Rampenlichts preisgeben möchten, sind andere umso mitteilungsbedürftiger. Mal weil die eigenen Erfahrungen Teil der Kunst werden, etwa um Autobiografisches zu verarbeiten. Mal weil dieses Privatleben ohnehin Teil des öffentlichen Images ist und sich auch für solche Zwecke nutzen lässt. So ein kleiner Skandal, das verschafft Aufmerksamkeit und kann so schon einmal die Verkaufszahlen kräftig ankurbeln.
Georg Friedrich Haas, so hätte man denken können, gehört dabei zu der Gruppe der eher zurückgezogen lebenden Leute. Als Komponist, der nicht selbst in Erscheinung tritt, ist er generell nicht unbedingt jemand, der für die Star-Position prädestiniert ist. Mit Mitte sechzig ist man zudem meistens aus dem Alter raus, in dem sich überhaupt noch jemand da draußen dafür interessiert, was du so treibst. Wer vorher nicht beachtet wurde, wird es jetzt auch nicht mehr.
Aus Liebe zur Dominanz
Umso erstaunlicher war es, als der gebürtige Österreicher vor einiger Zeit in einem Artikel der New York Times frei über seine BDSM-Beziehung zu Mollena Williams-Haas gesprochen hat. Kennengelernt hatten sich der Musiker und die Sexualpädagogin, Autorin und Performerin im Internet. Es funkte auch im realen Leben schnell, sie wurden ein Paar, heirateten später. Nur dass sie eben nicht allein Mann und Frau sind. Er ist ihr Meister, sie die Sklavin – so besagt es auch der Vertrag, den die beiden geschlossen haben. Er kümmert sich um sie, sie wird dafür geschlagen und muss ihm 24 Stunden am Tag als Sexpartnerin zur Verfügung stehen.
Das klingt erst einmal etwas kurios, schließlich verbinden wir Sklaverei nicht unbedingt mit Verträgen. Im Gegenteil, ein Merkmal der menschlichen Ausbeutung war doch immer die Regellosigkeit. Ein Sklave war ein Objekt, das nach Belieben benutzt werden konnte. Und das ist nicht das Einzige, was bei dieser speziellen Beziehung im Hause Haas auffällt. Er ist weiß, sie ist schwarz. Er entstammt einer Nazi-Familie, ihre Vorfahren waren selbst Sklaven. Er ist ruhig, empfindsam, höflich, sie ein aufbrausender Wirbelwind. Das passt alles nicht zusammen, scheint nicht mehr als ein Witz zu sein, ein Marketinggag.
Das muss ich jetzt überdenken …
Aber das ist eine der Stärken von The Artist & the Pervert: Der Dokumentarfilm fordert heraus, fordert auf, alte Schubladen noch einmal von einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Denn auch wenn die Beziehung der beiden natürlich privat ist und grundsätzlich niemanden etwas angeht, so wirft er doch Fragen auf. Darf eine schwarze Frau angesichts des ungebremsten Rassismus und in Zeiten von #MeToo heute noch Sklavin eines weißen Mannes sein, zumal sie vorher unter Geldnot litt? Ist diese Frage selbst schon rassistisch? Ist es eine kluge Idee als Künstler, sein Leben so öffentlich machen? Haben sie überhaupt das Recht dazu oder bedeutet das, die Rechte des Publikums einzugrenzen, das gar nicht wissen will, was hinter verschlossenen Türen geschieht?
Eine Antwort liefert der Film nicht, versucht es auch gar nicht. Angesprochen werden die Punkte durchaus, durch einige wenige Außenstehende, größtenteils durch das Paar selbst. The Artist & the Pervert ist letztendlich aber vor allem ein Plädoyer, diese Form der Beziehung und Sexualität nicht zu tabuisieren oder – wie es der Titel andeutet – zu verdammen. Und so sehen wir Momente der Zärtlichkeit, selbst wenn Mollena gerade wieder der Hintern versohlt wird. Szenen voller Natürlichkeit, wenn Georg nackt durchs Haus schlurft, so als wäre niemand anderes da, keine Kamera, die das alles festhält. Das ist sicherlich kein schöner Anblick, zumindest gemäß unseres „normalen“ Schönheitsbegriffes. Eine Form von Intimität, die rührend und doch auch irgendwie unangenehm in ihrer Direktheit ist. Eine Dokumentation, die sehr persönlich ist und dabei doch so universelle Themen aufwirft, dass es fast schon egal ist, wer die beiden Menschen da auf der Leinwand überhaupt sind.
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