Sumo. Bei diesem Schlagwort fallen einem sofort stark beleibte Herren in knappen Höschen ein, die sich schwankend und wankend aus dem Ring werfen. Dass es auch Frauen-Sumo gibt und dieser bis in die 1960er Jahre auch recht populär war, dürfte den meisten Europäern wohl unbekannt sein. Bereits in den 1920ern gab es zahlreiche weibliche Sumo-Ringerinnen, die hart trainierten und versuchten, ihren eigenen Weg zu gehen. Gleichzeitig waren die 1920er in Japan von politischen Unruhen geprägt: Nach dem Großen Kanto-Erdbeben 1923, das auch Tokyo zerstörte, gab es nicht nur viele Tote zu beklagen, es kam auch vermehrt zu Ausschreitungen. Viele Menschen verloren von heute auf morgen ihr Hab und Gut und wurden zu „Flüchtlingen“, die auf der Suche nach Essen und Arbeit die Erdbebengebiete verließen. Es entstanden links-radikale, anarchistische Gruppen, die Gleichberechtigung forderten und manchmal à la Robin Hood versuchten, die Welt zu verbessern. Eine dieser Gruppen nannte sich „Guillotine Society“ und ihr Name verweist bereits auf ihre nicht immer friedvollen Methoden: Rachemorde standen bei ihnen an der Tagesordnung.
Tetsu (Masahiro Higashide) und Daijiro (Kannichirô Satô) gehören zur Guillotine Society und führen diese mehr oder weniger an, besonders talentiert im Rachenehmen und Leute um die Ecke bringen sind sie allerdings nicht. Als sie in Tokyo eine Truppe Sumo-Kämpferinnen bei einem Wettkampf beobachten, finden die beiden vor allem Gefallen an Tomoyo (Mai Kiryû) und Tamae (Hanae Kan) (auch wenn die Enttäuschung groß ist, dass sich weibliche Sumo-Kämpferinnen obenrum nicht freimachen).
Eine Geschichte unter vielen
Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt der Handlung, die sich über drei Stunden hinweg zieht und dadurch natürlich sehr komplex ist. Auch wenn noch viele weitere Charaktere auftreten, liegt der Fokus auf ein paar wenigen, wodurch sich ein roter Faden durch den gesamten Film zieht. Die Geschichte der Sumo-Wrestlerinnen ist dabei der spannendere Teil des Films, gerade auch, weil wir Europäer wohl so gut wie nichts über diese Sportart wissen. Während Tomoyo sich den Wrestlerinnen anschließt, um ihrem gewalttätigen Ehemann zu entfliehen, versucht Tamae als ehemalige Prostituierte, ein neues Leben zu beginnen. Die Geschichten der einzelnen Damen sind spannend und komplex. Auch wenn die beiden Elemente des Films – die anarchistischen Gruppen auf der einen Seite und die emanzipierten Wrestlerinnen auf der anderen – thematisch gut zusammenpassen und sich im Verlauf des Films immer weiter miteinander verweben, ist die Geschichte der Wrestlerinnen interessanter ausgearbeitet und hätte auch allein einen Film tragen können.
Mit einer Laufzeit von 189 Minuten muss der Film eigentlich schon als episches Historiendrama bezeichnet werden. Bei solch einem Film von „Längen“, vor allem unnötigen Längen zu sprechen, ist schwierig, da er von vornherein lang angelegt ist. Natürlich hätte man vieles kürzen können. Allein der Sumo-Wettkampf der Frauen zieht sich über 10 Minuten. Hier hätte man weniger zeigen können, aber das wollten die Macher mit Sicherheit nicht. Auch die letzten 30 Minuten ziehen sich relativ stark, allerdings erleben wir hier auch explizite und intensive Momente der Handlung, denen angemessen viel Darstellungszeit zugesprochen werden muss. Für normale Sehgewohnheiten ist der Film deshalb nichts, wer aber vorher weiß, worauf er sich einlässt, wird seine Freude am gelungenen Spiel aller Darsteller und an den aufwendigen, historischen Kulissen und Kostümen haben.
Ebenfalls spannend an dem Film sind die grundlegenden Themen wie Gleichberechtigung, Gewalt gegen Frauen, Emanzipation, aber auch verschiedene Formen politischer Partizipation (relativ) junger Menschen. Diese Themen, die in den 1920er Jahren Japan bereits beschäftigten, sind heute noch aktuell und spiegeln in Teilen unsere heutige Gesellschaft wieder. Muss man kämpfen, um gewinnen zu können? Müssen wir kämpfen, um zu überleben? Und heißt kämpfen immer, Gewalt anzuwenden? Der Film zeigt, dass die Menschen sich mit diesen Fragen bereits vor rund hundert Jahren befasst haben – und vermutlich werden sie uns noch weitere hundert Jahre beschäftigen.
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