Als sich Elisa (Natalia de Molina) und Marcela (Greta Fernández) Ende des 19. Jahrhunderts in einer spanischen Schule über den Weg laufen, sind sie sich auf Anhieb sympathisch. Schnell werden die beiden jungen Frauen zu Freundinnen, anschließend auch zu mehr. Doch das ist alles andere als einfach, Homosexualität ist schließlich verpönt. Auch ihre Familien wollen hiervon nichts wissen und versuchen die beiden zu trennen. Durch einen Trick versuchen die zwei dennoch, ein gemeinsames Leben zu führen: Elisa gibt sich als Mann aus, damit die beiden heiraten können.
Wenn sich in Filmen Figuren als das andere Geschlecht verkleiden, dann oft mit komödiantischen Absichten. Von Manche mögen’s heiß bis zu Mrs. Doubtfire, der Spaß besteht oft in der Offensichtlichkeit der Verkleidung, die dennoch innerhalb des Filmes aus unerklärlichen Gründen niemand durchschaut. Das ist bei Elisa und Marcela ganz ähnlich, wenn im letzten Drittel Elisa zur Ultima Ratio greift, eine Hose anzieht und sich einen schicken Schnurrbart anmalt. Wird schon niemand merken. Tut es auch nicht. Das ist witzig, erneut, in der grotesken Verkennung minimaler menschlicher Wahrnehmung. Das Problem ist nur: Der Netflix-Film meint das auch noch ernst.
Pioniere der LGBT-Bewegung
Die Geschichte dahinter ist natürlich ernst: Elisa und Marcela gab es wirklich, mit ihrer – wenn auch versteckten – Eheschließung im Jahr 1901 waren sie frühe Vorreiterinnen einer erst sehr viel später stattfindenden gesellschaftlichen Öffnung. In Spanien sollte es anschließend noch mehr als 100 Jahre dauern, bis das auch offiziell erlaubt war. Deutschland tat sich bekanntermaßen ebenfalls schwer damit, homosexuellen Beziehungen denselben Wert einzuräumen wie „normalen“, die Gleichstellung ist nicht allzu lange her. Der Stoff gab also genügend her, um daraus eine wichtige Geschichtsstunde zu machen.
Leider ist (Der Buchladen der Florence Green) dafür aber offensichtlich die falsche Person gewesen. Die Regisseurin und Drehbuchautorin hatte lange schon daran gearbeitet, den beiden Pionierinnen ein filmisches Denkmal zu setzen. Anfang des Jahres war es auf der Berlinale dann endlich so weit, das Drama feierte im Rahmen des Wettbewerb seine Weltpremiere. Die Resonanz war aber durchwachsen bis verheerend. Schon vorher war die Kontroverse groß, einen Netflix-Film, der ohnehin nie im Kino laufen wird, derart zu würdigen. Aber auch das Werk selbst stand schnell in der Kritik, belegte im internationalen Pressespiegel den letzten Platz.
Zwischen Kitsch und Kunst
Von der zweifelsfrei großen historischen Bedeutung des Vorfalls einmal abgesehen, gibt es aber auch wenig Gründe, sich Elisa und Marcela anzuschauen. Um dem Schicksal auch die notwendige persönliche Dimension zu gehen – die beiden Frauen sind zuerst Menschen, erst dann Pionierinnen –, hätte es ein emotionales Fundament gebraucht. Das gibt es hier aber nicht. Die zwei Verliebten dürfen sich anschmachten, kitschige Dialoge loswerden und sich an den verschiedensten Orten ihrer Lust hingeben, mit zum Teils eher unerwarteten Equipment. Wäre der Film von einem Mann gedreht worden, man hätte ihm diese plumpen Softporno-Tendenzen als bloße Männerfantasie um die Ohren gehauen. Dass eine Frau dahintersteckt, macht die Sache etwas rätselhafter, aber nicht besser.
Dabei will Elisa und Marcela ja eigentlich anspruchsvolles Arthouse sein. Dafür greift Coixet auf einen Trick zurück, der ebenso offensichtlich ist wie Elisas Verkleidung: Der Film wurde einfach in Schwarzweiß gedreht. Weil Kunst. Die Bilder sind dann auch schön. Wann immer die Geschichte pausiert und wir einfach nur die Landschaft anschauen dürfen oder die Gebäude von anno dazumal, steigt die Hoffnung, dass sich das Drama vielleicht doch lohnen könnte. Dummerweise hatte Netflix einige Monate zuvor mit Roma aber die Messlatte schon so hoch gelegt, dass nicht einmal das noch viel ausmacht. Während der Streamingdienst beim Einkauf von Festivalfilmen oft einen guten Riecher beweist, bleiben die Produktionen aus dem eigenen Haus nach wie vor meist enttäuschend.
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