Ein Mann wird eines Nachts von einer Biker Gang verprügelt und beschließt daraufhin, Karatestunden zu nehmen, um sein ramponiertes Selbstbewusstsein wiederaufzubauen – das schreit eigentlich geradezu danach, ein aufbauendes Feel-Good-Drama zu drehen, bei dem der Protagonist am Ende über seine Angreifer triumphiert. Teilweise ist The Art of Self-Defense genau das. Teilweise aber auch das genaue Gegenteil. Mit seinem zweiten Film hat Regisseur und Drehbuchautor Riley Stearns eine absurde, schwarzhumorige und doch auch irgendwie tragische Satire auf Männlichkeitswahn gedreht. Wir haben den Filmemacher und Hauptdarsteller Jesse Eisenberg beim 37. Filmfest München zum Interview getroffen, wo The Art of Self-Defense als Eröffnungsfilm lief.
Hallo ihr beide. Es freut mich, dass wir uns heute über euren Film unterhalten können, da ich auch selbst Karate mache.
Riley: Tatsächlich? Ich habe den Eindruck, dass das richtig viele machen, aber nicht darüber reden.
In Deutschland oder allgemein?
Riley: Allgemein. Und dann sehen sie den Film uns sagen: Übrigens, ich habe selbst einen schwarzen Gürtel.
Jesse: Oder: Ich habe einen Onkel, der das macht.
Riley: Ich selbst mache kein Karate, sondern Jiu Jitsu. Darüber rede ich dann schon. Ich rede sogar viel zu sehr darüber.
Wie lange machst du den Sport schon?
Riley: Seit sechs Jahren. Ich habe inzwischen den lilafarbenen Gürtel. Das ist die Hälfte auf dem Weg zum schwarzen Gürtel. Normalerweise dauert es etwa zehn Jahre, bis du deinen schwarzen Gürtel bekommst. Das fordert dir sehr viel ab, aber ich liebe es! Ich trainiere momentan fünf Tage die Woche. Wenn du keinen richtigen Job hast, brauchst du etwas als Ersatz. Bei mir ist das Jiu Jitsu.
Und bist du dadurch auf die Idee zum Film gekommen?
Riley: Ich arbeitete an einer Idee, die nicht wirklich funktioniert hat. Das war so, als würde ich versuchen, ein rechteckiges Klötzchen in ein rundes Loch zu stecken. Also warf ich die Idee in den Müll und dachte: Warum nicht einen Film über etwas machen, das ich liebe? Und so entschied ich mich, etwas zu Martial Arts zu machen, weil ich selbst Jiu Jitsu mache.
Warum hast du dann keinen Film über Jiu Jitsu gedreht?
Riley: Ich habe Karate gewählt, weil die Leute das eher kennen als Jiu Jitsu. Außerdem ist das Herumrollen auf dem Boden filmisch weniger spannend als Schlagen oder Treten. Ich hatte das Gefühl, dass es bei dem Publikum gewisse Erwartungen weckt, eine Geschichte in der Welt des Karate und Martial Arts zu erzählen. Erwartungen, die ich dann aber untergrabe, indem ich über Dinge rede, die mich beschäftigt haben, vor allem Gedanken und Ängste in Bezug auf mich als Mann und die Erwartungen, die die Gesellschaft an mich als Mann hat.
Jesse, wann kamst du zu dem Projekt hinzu?
Jesse: Die genaue Zeit weiß ich nicht mehr.
Riley: Ich schon. Du hast mir eine E-Mail am 6. Juli 2017 geschrieben und gesagt, dass du das Drehbuch gelesen hast und beim Film mitmachen wolltest.
Jesse: Nun, es ist eines der besten Drehbücher, die ich jemals gelesen habe, Filme eingeschlossen, bei denen ich gar nicht mitgespielt habe. Also habe ich diese E-Mail geschrieben.
Riley: Ich erwartete eine E-Mai, in der steht: I will reden. Stattdessen stand da drin: Ich will diesen Film machen.
Jesse: Ich hatte damals einen tollen Agenten. Da war dieser Film, den ich drei Monate später drehen sollte. Also sagte mein Agent, lass uns schauen, ob wir The Art of Self-Defense nicht gleich drehen können. Das ging alles wirklich sehr schnell
Riley: Die Zeit zwischen der Mail von Jesse und dem Tag, als ich mit dem Film in Kentucky begonnen habe, war nur ein Monat und ein paar Wochen.
Ist das nicht etwas kurz?
Jesse: Ist es. Normalerweise dauert es etwa ein Jahr, bis du alles beisammen hast. Der einzige Nachteil war, dass der Casting-Prozess für die anderen Rollen dadurch sehr kurz war. Das alles hat sehr abgekürzt. Aber am Ende war alles perfekt. Ich hatte seit einem Jahrzehnt keine so gute Filmerfahrung mehr gehabt. Es fühlte sich alles so an, als wäre alles perfekt.
Riley: Stimmt. Selbst als wir eine Rolle neu besetzen mussten, weil der eigentliche dafür vorgesehene Schauspieler ein Engagement für einen Comedy Gig auf einem Kreuzfahrtschiff hatte und nicht mehr aus dem Vertrag konnte. Es ist so, als wäre alles aus einem Grund passiert, selbst wenn ich nicht ans Schicksal glaube.
Jesse: Manchmal gehen Dinge auch einfach schief, ohne guten Grund. Aber hier hatte ich den Eindruck, dass alle an demselben Projekt mitarbeiteten. Das Szenenbild war derselbe Film wie das Drehbuch. Alles fühlte sich so an, als wäre es Teil dieser seltsamen Welt. Jeder schätzte den Film auf seine ganz eigene Weise.
Riley: Das war eine riesige Erfahrung für mich. Ich dachte, dass ich etwas schreibe, das nur für mich bestimmt war. Aber am Ende waren wir ein Team, das wirklich eine Beziehung zu dem hatte, was ich geschrieben habe.
Jesse, was war deine Beziehung zu dem Drehbuch?
Jesse: Der Humor kann es mit der besten Sketch Comedy aufnehmen, auch wenn der Ton ganz anders ist. Weil der Ton des Films so eigenartig ist fühlt sich der Humor nicht so an, als würde er sich dir aufdringen wollen.
Riley: Jede Figur sagt genau das, was sie denkt. Sie können etwas völlig Lächerliches sagen, tun das aber aus voller Überzeugung. Der Witz liegt in dieser Überzeugung und diesem Ernst. Casey ist wie ein Kleinkind, wie ein Schwamm, der alle Informationen aufsaugt, egal ob sie nun gut oder schlecht sind. Viel von dem Humor besteht darin, dass er nicht weiß, wem oder was er glauben soll. Er nimmt alles für bare Münze.
Jesse: Auch wenn der Humor so lustig und so clever ist, verliert der Film nie das Gefühlsleben der Figur aus dem Blick.
Wie würdest du deine Figur beschrieben?
Jesse: Er ist sehr vertrauensvoll anderen gegenüber. Er hat so etwas wie eine prä-freudiale Geisteshaltung. Er wendet keine psychologischen Taktiken einer normalen Sozialisierung an. Er versucht nicht, andere Leute zu umgarnen. Er versucht nicht, von anderen etwas zu bekommen. Er hat keine heimlichen Motive. Er hat diese süße Reinheit. Auch wenn die Dialoge lustig sind, dienen sie doch immer dieser sehr emotionalen Figur.
Riley: Er will einfach nur dazugehören. Vieles tut er, damit andere ihn mögen – oft auf seine eigenen Kosten. Das ist oft auch meine Vorgehensweise. Ich neige dazu, einfach von anderen gemocht zu werden. Der Charakter ist keine direkte Abbildung von mir. Aber es fällt mir schwer, etwas zu schreiben und dabei nicht etwas von mir in diese Figur zu stecken. Manches davon bricht dann auch in Casey heraus, mit allen Vor- und Nachteilen.
Jesse: Er erinnert mich an mich selbst, als ich ein Kind war. Ich hatte vor allem Angst. Die Annahme, dass alle wirklich nett sind, mir dann aber ins Gesicht schlagen. Und die Annahme, dass das irgendwie meine Schuld. Dass mein Gesicht nicht so nahe an ihrer Faust hätte sein sollen.
Bist du jemals wirklich verprügelt worden?
Riley: Ich selbst bin nie in einer Schlägerei gewesen. Ich wurde nie verprügelt, wurde nie angegriffen. Aber es gibt immer Vorfälle, wenn Leute betrunken sind, bei denen ich froh bin, das zu wissen, was ich jetzt weiß.
Jesse: Warum hast du mit Karate angefangen?
Es war tatsächlich eine ähnliche Situation zu Casey im Film. Ich steckte damals auch in einer Krise und brauchte etwas Selbstvertrauen. Ich habe allerdings nie jemanden verprügelt. Zumindest nicht außerhalb des Dojos.
Riley: Ich auch nicht. Es ist wirklich lustig. Je mehr ich lerne zu kämpfen, umso weniger will ich eigentlich kämpfen. Als ich angefangen habe, dachte ich noch: Oh Mann, ich hoffe, dass ich diese Techniken eines Tages anwenden kann! Aber je mehr ich weiß, umso weniger will ich, dass das eintrifft. Weil ich jetzt weiß, wie ich andere tatsächlich verletzten kann. Und das will ich nicht.
Jesse, hattest du irgendwelche Erfahrungen mit Kampfsport?
Jesse: Ich hatte vielleicht so fünf Wochen Training, als ich acht Jahre alt war. Das war praktisch Voraussetzung als jüdisches Kind in New Jersey. Jeder macht das. Das war in den frühen 90ern, als überall in den Vorstädten diese Fassade-Karate-Läden auftauchten.
Riley: Stimmt. Die nannten sich zwar Dojos. In Wahrheit waren es aber nur Orte, wo du Kinder abgestellt hast, ihnen hin und wieder einen Gürtel überreichst und mehr und mehr Geld verlangst. Die waren mehr an dem Geschäft interessiert als an der Sache. Für weiße Vorstadt-Kinder war Karate Kid damals eine riesige Sache. Ich selbst hab meinen Gelbgurt mit fünf Jahren bekommen. Mein Vater hatte für sich und mich Freistunden bekommen im Gegenzug für Artworks, die er für einen Dojo gemacht hat. Und als diese Freistunden nach zwei Monaten aufgebraucht waren, sagte er: Das war’s, mehr machen wir nicht. Ich denke, dass jedes Kind seinen Gelbgurt bekommt. Deswegen wollte ich, dass Casey einen Gelbgurt hat. Dieses ikonische Bild eines Mannes mit einem gelben Gürtel. Kein schwarzer Gürtel oder ein anderer der hohen Klasse. Nur einen Gelbgurt, der Kindergurt. Das ist noch kindlicher als ein Weißgurt.
Casey nimmt diese Stunden, um das zu werden, was ihn einschüchtert. Was schüchtert euch so ein?
Riley: Wir haben da schon kurz darüber gesprochen. Eine sehr offensichtliche Sache: Ich will nicht in einen Kampf hineingezogen werden. Aber das ist eine gute Angst, denke ich. Aber ich war auch sehr eingeschüchtert, als ich das erste Mal als Erwachsener als Single ausging. Das Gefühl zu haben, niemanden ansprechen zu können. Das erste Mal auf mich gestellt zu sein als Erwachsener. Zu versuchen, gesellig zu sein. Ich war schon ein wenig eingeschüchtert davon und habe mich oft zurückgezogen und bin daheim geblieben.
Und wie sieht es bei dir aus?
Jesse: Heute Abend präsentieren wir den Film vor 1.200 Leuten. Das ist unglaublich einschüchternd. Warst du nervös, als du den Film das erste Mal in Texas gezeigt hast?
Riley: Nein. Wir hatten vorher schon ein Test Screening vor etwa 200 Leuten in New York und das Publikum hat sehr positiv reagiert. Etwas Lustiges drehen zu wollen, von dem du nicht weiß, ob andere da auch lachen werden, das ist einschüchternd. But dank dieses Test Screenings war die Premiere in Texas in Ordnung. Da gibt es immer diesen einen Moment zum Ende des Films, wo das Publikum jedes Mal applaudiert hat.
Jesse: Welcher ist das?
Riley: Der Showdown. Das ist wirklich unglaublich. Hoffentlich funktioniert das heute ebenso gut. Aber dieses Mal ist das ein anderes Land. Das ist der einschüchterndste Aspekt bei der Vorführung in München: Das ist ein ganz neues Terrain.
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