Art of Self Defense
© Universal Pictures

The Art of Self-Defense

Art of Self Defense
„The Art of Self-Defense“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Casey (Jesse Eisenberg) ist es gewohnt, im übertragenen Sinn der Prügelknabe anderer zu sein. Ob es nun privat oder bei seiner Arbeit, es kann so ziemlich jeder auf ihm herumtrampeln. Als eine Gruppe von Bikern dies jedoch auch wörtlich tut und ihn ins Krankenhaus prügelt, reicht es dem sanftmütigen Buchhalter. Etwas muss sich ändern, und das zwar schnell! Seinen ersten Gedanken, sich eine Waffe zu kaufen, lässt er schnell wieder fallen, als er zufällig an einem Karateverein vorbeiläuft. Eine Probestunde beim Vereinsleiter (Alessandro Nivola) überzeugt ihn, dass er hier seinen Platz gefunden hat. Tatsächlich gewinnt er nach und nach das Selbstvertrauen und lernt, sich anderen gegenüber zu behaupten. Bis er von einer mysteriösen Nachtklasse erfährt, in der noch ganz andere Unterrichtsstoffe vermittelt werden …

So ein bisschen unheimlich ist es ja oft, nachts durch menschenleere Straßen oder Plätze zu laufen. Das Gefühl, dass dir keiner helfen kann, wenn etwas sein sollte. Wenn du dann noch jemand bist, der vielleicht nicht die größte physische Präsenz hat, ist das eigentlich schon eine Einladung, dass etwas Schlimmes passiert. Fast eine Provokation. Die wenigsten Zuschauer und Zuschauerinnen dürften dann auch überrascht sein, als Casey bei seinem nächtlichen Einkauf Leuten in die Hände fällt, die in ihm ein dankbares Opfer sehen. Umso mehr, wenn dieser Hauch von Mann von Jesse Eisenberg (Café Society, American Ultra) verkörpert wird, der ganz gerne mal verhuschte Charaktere spielt. Die eigentlichen Überraschungen, die kommen danach.

Demontage statt wohligem Aufbau
Ein Mann, der nach einem traumatischen Vorfall lernt, für sich selbst einzustehen, das ist eigentlich Stoff für einen sehr aufbauenden Film. Auch du kannst es schaffen, einen Platz in dieser Welt zu finden! Das tut Casey auch. Anstatt dem Publikum positive Vorbilder zu zeigen, macht Regisseur und Drehbuchautor Riley Stearns jedoch das Gegenteil. Je mehr Casey zu einem Mann wird, umso stärker demontiert The Art of Self-Defense ihn. Er wird nicht zu einem jemand, auch wenn er sich das so sehr wünscht. An seine Stelle tritt lediglich das Bild eines Mannes. Ein traditionelles Bild voller Klischees, wie man es heute gar nicht mehr nach draußen zeigen darf.

Das ist eigentlich recht tragisch. Und tatsächlich ist The Art of Self-Defense an einigen Stellen nicht weit von einem Drama entfernt, wenn Casey in seiner großen Sehnsucht sich selbst immer mehr verliert. Wäre da nur nicht der humorvolle Ton. Stearns verpackt seine Sinnsuche und Demontage in eine Komödie. Eine Komödie, die teilweise aber ebenso bitter ist wie die Erfahrungen, die der Prügelknabe unterwegs macht. Teils liegt der Humor in der puren Absurdität der Situation, die noch weiter dadurch verstärkt wird, dass das Ensemble den Quatsch mit eisernem Ernst vorträgt – vergleichbar zu Jim Jarmuschs The Dead Don’t Die neulich. Teils ist es aber auch der beißende Spott, der einen zum Lachen bringt.

Der surreale Alltag
Eine Schenkelklopferkomödie ist The Art of Self-Defense hingegen nicht. Es gibt vergleichsweise wenige Szenen, die auf klassische Gags setzen. Wie viel Spaß man hier hat, hängt dann auch stark davon ab, wie sehr man sich in diese Geschichte und diese Figuren hineinfühlen kann. Der Film, der auf dem South by Southwest Festival 2019 Weltpremiere hatte und im Anschluss das Filmfest München 2019 eröffnete, ist gleichermaßen surreal wie real. Ein Film, der viele sehr universelle Themen anspricht – die Sehnsucht, irgendwo hin zu gehören, gefährlicher Gruppenzwang –, dies jedoch auf eine sehr skurrile Weise tut. Mit einem herkömmlichen Martial-Arts-Film hat das hier nichts zu tun, auch wenn es ein paar durchaus sehenswerte Einlagen gibt. Dass Stearns selbst Kampfsporterfahrung hat, genauer seit Jahren Jiu Jitsu betreibt, hat hierbei sicher nicht geschadet.

Zu zartbesaitet sollte man hier dann auch besser nicht sein. Der Film wird an manchen Stellen überraschend explizit. Später wird die anfangs noch eher harmlos wirkende Komödie sogar richtig abgründig, nähert sich auf erschreckende Weise einem Thriller an. Dabei tut einem Stearns nicht den Gefallen, zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen. Casey, der anfangs ein eindeutiger Sympathieträger ist, wird mit der Zeit immer ambivalenter. Auch bei den anderen Figuren gehen positive und negative Eigenschaften teilweise so sehr ineinander über, dass man sie gar nicht mehr voneinander trennen kann. Wann wird Selbstvertrauen zu Arroganz? Stärke zu Brutalität? Opfer zu Täter? The Art of Self-Defense zeigt, dass in uns allen unsichere Schäfchen wie auch reißende Schäferhunde stecken, es nicht zuletzt auch vom Umfeld und unserem Erbe abhängt, wer von beiden die Oberhand gewinnt. Darüber lohnt es sich nachzudenken, wenn der Humor sich zwischenzeitlich etwas zurücknimmt – oder im Anschluss, wenn der Film noch länger nachwirkt.



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„The Art of Self-Defense“ lässt uns daran teilhaben, wie ein schüchterner Niemand mittels Karatestunden zu einem Schläger wird. Das ist mal tragisch, dann wieder unglaublich komisch, zwischendurch auch erschreckend. Der Film zeigt eine Situation, die gleichermaßen surreal wie universell ist, Männlichkeitsbilder demontiert und auch sonst einiges zum Nachdenken mit auf den Weg gibt.
8
von 10