Der Fall schockierte ganz New York City: Eine Joggerin wurde im Central Park angegriffen, brutal zusammengeschlagen, vergewaltigt und im Anschluss zum Sterben liegen gelassen. Ein Täter muss her, das steht für Linda Fairstein (Felicity Huffman) fest, die bei der Staatsanwaltschaft für den Bereich Sexualverbrechen zuständig ist. Der Verdacht fällt schnell auf die Jungs Korey (Jharrel Jerome), Anton (Caleel Harris), Raymond (Marquis Rodriguez), Yusef (Ethan Herisse) und Kevin (Asante Blackk), die zu der Zeit der Tat 14 bis 16 Jahre sind und im Central Park unterwegs waren. Obwohl man ihnen nichts nachweisen kann, werden die fünf verurteilt – aufgrund von widersprüchlichen Geständnissen, zu denen man die Minderjährigen zwingt.
Aus den Nachrichten sind wir es ja gewohnt, dass in den USA Schwarze Bürger zweiter Klasse sind, für die im Rechtsstaat andere Regeln gelten. Vor allem die brutalen Übergriffe durch die Polizei schockieren immer wieder, zumal sie nie nennenswerte Folgen für die vermeintlichen Hüter des Gesetzes haben. Das hatte es auch nicht für die diversen Polizisten und Vertreterinnen der Staatsanwaltschaft, die den Fall um die fünf zu Unrecht verurteilten Jungs zu verantworten haben – auch wenn in Folge der Netflix-Serie When They See Us Forderungen laut wurden, die Bücher von Linda Fairstein aus dem Handel zu nehmen. Immerhin: Das Unrecht wurde hier wenigstens anerkannt, der als „Central Park Five“ berüchtigte Fall ist in den USA auch deshalb so berühmt, weil den fünf später mehrere Millionen Dollar Entschädigung zugesprochen wurden.
Zeit ist relativ
Diese Entschädigung spielt in When They See Us jedoch keine Rolle, Ava DuVernay (Selma, Das Zeiträtsel) hat bei ihrer Serie dafür nur wenig Platz. Dem Ende räumt die Filmemacherin, die hier Regie führte, Teile des Drehbuchs schrieb und auch das Konzept entwickelt hatte, kaum Zeit ein. Aus gutem Grund: Sie will verdeutlichen, welches Unrecht den fünf zugefügt wurde, von der Befragung über die Verurteilung und die Zeit im Gefängnis bis zu dem Leben danach. Da passen die Versuche, das Unrecht finanziell zu entschädigen, nicht wirklich hinein. Auch die Aufhebung der Verurteilung wird nur kurz abgehandelt, DuVernay lässt es sich aber nicht nehmen, noch einmal die Beteiligten Rechtsvertreter zu dämonisieren.
Das ist auch deshalb auffällig, weil sich DuVernay an anderen Stellen gern deutlich mehr Zeit lässt, wenn es ihren Zwecken nützt. Oder sie zumindest der Ansicht ist, dass es nützt. Das tut es aber nur teilweise. Sehr stark sind die beiden ersten der vier Folgen von When They See Us. Die Serie konzentriert sich hier auf die Anfänge der Geschichte, stellt die Figuren vor, begleitet sie während der Befragungen bis hin zur Gerichtsverhandlung. An diesen Stellen muss die Netflix-Produktion auch nicht viel tun, um das Publikum auf ihre Seite zu ziehen. Das skandalöse Verhalten der Polizei und Staatsanwaltschaft, die um jeden Preis einen Täter brauchen, spricht für sich. Getragen werden diese Episoden aber auch von den starken Leistungen, gerade auch die der Nachwuchsdarsteller, die den Horror dieser Erfahrungen spürbar machen.
Das Leben nach dem Unrecht
Die Folgen drei und vier sind im Vergleich deutlich schwächer, auch weil sich DuVernay thematisch übernimmt. In ihrem Willen, aus den Central Park Five mehr als nur eine Zahl zu machen und aufzuzeigen, welche Auswirkungen dieses einschneidende Erlebnis auf sie hatte, nimmt sie in Kauf, dass die Geschichte völlig zerfasert. Nebenschauplätze aus ihrem Leben geraten kurz in den Fokus, nur um dann wieder zu verschwinden. Auch Misshandlungen innerhalb des Gefängnisses und die lebenslange Stigmatisierung von verurteilten Verbrechern kommt zur Sprache. Themen, die zweifellos wichtig sind und eigene Filme und Serien verdienen würden, hier aber in erster Linie dazu dienen, die Jungs noch stärker zu Opfern zu machen. Allgemein lässt DuVernay so völlig jede Subtilität vermissen. Ob es nun der Einsatz hochtrabender Musik ist, die zum Pathos neigenden Dialoge, offensichtliche Symbolik, der Hang zu Wiederholungen – When They See Us ist so darauf fixiert, die gewünschte Wirkung zu erzielen, dass ihr Werk ähnlich manipulativ wird wie die Leute, die sie kritisiert. Vor allem die überzogenen Flashback-Szenen im Gefängnis sind in ihrer plumpen Art unerträglich.
Das ist auch deshalb ärgerlich, weil die Geschichte das alles gar nicht gebraucht hätte. Die Wut, die in einem aufgrund dieser so offensichtlichen und rassistisch motivierten Ungerechtigkeit hochkommt, sie hat diese Holzhammermethoden nicht verdient. Der Schrecken, dass Unschuldige aufgrund von Willkürlichkeiten einfach ins Gefängnis gesteckt werden können – in einem westlichen Rechtsstaat wohlgemerkt –, der verfolgt einen auch so. Das ist alles nicht neu, zumindest nicht für das US-Publikum. When They See Us bringt keine Erkenntnisse, die es zuvor nicht gab oder die ein Blick auf den Wikipedia-Eintrag nicht schneller offenlegen würde. Wohl aber erinnert die Serie noch einmal nachdrücklich daran, wie viel im Argen liegt, wie absurd der Umgang mit Gesetzen sein kann. Und sie führt vor Augen, was das für die Menschen bedeutet, die mehr sind, mehr sein müssen als bloße Schlagzeilen und Akten und Nummern.
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