Wer sich zwischendurch mal den Luxus gönnt, ganz weit weg von den Städten zu fahren, dem wird auffallen, wie viele Sterne mehr dort am Himmel zu sehen sind. Do wo nicht das Licht der Zivilisation den Ausblick überdeckt, noch echte Dunkelheit herrscht, dort lässt sich noch das Unbekannte entdecken. Alpgeister wendet sich dieser Dunkelheit zu und spricht über das, was wir schon längst nicht mehr sehen können, was aber immer noch irgendwo da ist. Das betrifft die Sterne, die in den Bergregionen noch zu sehen sind. Es betrifft vor allem auch das, was in den Menschen selbst ist, was sie schon seit langer Zeit in sich tragen.
Zunächst sieht es so aus, als wäre Alpgeister nur eine weitere Dokumentation, welche die Menschen dazu anhalten soll, stärker zurück zur Natur zu finden, bzw. die enge Verbindung der Menschen in den Bergen zu ihrer Umgebung aufzeigt. Ein Film wie This Mountain Life – Die Magie der Berge. Doch das ist nur der Auftakt für Walter Steffen. Der Regisseur hatte sich schon in anderen Werken wie Bavaria Vista Club – Vol.1: Musikergeschichten aus Oberbayern mit dem kulturellen Erbe der Menschen in ländlichen Regionen auseinandergesetzt. In seinem neuesten nimmt er sich nun der spirituellen Seite an, erzählt von alten Legenden, von Volksglauben über Fabelwesen, die sich irgendwo in den dichten Wäldern oder verschlungenen Tälern aufhalten sollen.
Entscheiden müsst ihr selbst
Eine inhaltliche Auseinandersetzung damit findet jedoch nicht statt. Steffen zieht es vor, die Leute frei heraus erzählen zu lassen, ohne das Ganze zu hinterfragen. Und er hat jede Menge Leute gefunden, die bereit sind, über das Thema zu sprechen. Da sind Heiler und Schamanen dabei, die praktisch berufsbedingt schon an eine Welt jenseits der Wissenschaft glauben müssen. Aber auch Gästeführer und Hirten kommen zu Wort, Menschen, die viel unterwegs sind, draußen in der Natur. Ob sie an die Geschichten glauben, die sie erzählen, ist dabei nicht immer ganz einfach zu unterscheiden. Während einige sich deutlich bekennen, sind andere eher zurückhaltend.
Auch bei den Geschichten selbst gibt es keine einheitliche Linie. Erlaubt ist in Alpgeister alles, was in irgendeiner Form beseelt ist und nicht dem strengen Biologieverständnis entspricht. Da ist mal von Feen die Rede, mal von Riesen, Geister wandern durch die Gegend, mal unheimlich, mal auch schützend, wenn sie über die Menschen wachen. Letzteres tun sie noch immer, wenn man einem der Gesprächspartner Glauben schenken will, der nur durch übernatürliche Kräfte einem Unfall aus dem Weg gehen konnte. Ob man ihn nun selbst Glauben schenken mag oder nicht, das bleibt dem Publikum überlassen. Das ist auch nicht wirklich der Punkt des Films.
Alpgeister ist wie ein altes Buch, das man bei den Großeltern gefunden hat und in dem lauter Dinge stehen, die einem etwas wunderlich vorkommen. Das Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit. Das ist charmant, auch schön bebildert – teils mit etwas unnötig aufwändigem Reenactment. Einen strukturierten Überblick über alten Volksglauben sollte man aber besser nicht erwarten. Der Film wandert von einem Thema zum nächsten, oft in einer sehr willkürlichen Weise. So hat man zum Ende hin einiges erfahren und gehört, aber nicht wirklich viel gelernt. Man erinnert sich zwar daran, gemeinsam in die Dunkelheit geschaut zu haben. Doch was man darin gesehen hat, war so diffus, dass man es im Anschluss nur schwer wieder beschreiben könnte.
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