Mit einem Sprung endet das Leben des Polizisten Dong Ling Zhang (Jack Kao). Glücklich war es schon länger nicht mehr. Seine Ehe ist gescheitert, auch wenn er sich bis heute weigert, in die Scheidung einzuwilligen. Das Verhältnis zu seiner Tochter ist nicht das beste. Und beruflich hat er ohnehin schon vor Jahren sämtliche Illusionen und Hoffnungen verloren. Da begegnet er einer Prostituierten (Louise Grinberg), die in ihm ein stilles Verlangen auslöst. Ihn an etwas oder jemanden erinnert, das viele Jahre her ist …
Das chinesische Kino mag es bekanntlich gern etwas bombastischer, gerade im Science-Fiction-Genre regiert das Spektakel – siehe etwa das enorm erfolgreiche Die wandernde Erde. Am anderen Ende des Spektrums findet sich der Netflix-Film Cities of Last Things wieder, das der taiwanesische Regisseur Wi Ding Ho als internationale Co-Produktion realisiert hat. Denn auch wenn wir hier in der Zukunft starten und eine dystopische High-Tech-Gesellschaft zeigen, der Film wandelt sich bald in etwas, das so gar nicht den Erwartungen des Publikum entspricht.
Zurück aus der Zukunft
Genauer hat Ho wenig Interesse daran, das Szenario weiter auszubauen oder auch zu erklären. Der Überwachungsstaat, der sich beispielsweise in Implantaten manifestiert, erinnert an Kollegen wie Anon, umso mehr, da der Film mit dem mysteriösen Tod und jeder Menge Gewalt beginnt. Anstatt sich darauf zu konzentrieren, rückt aber die Figur des Polizisten in den Mittelpunkt, den wir im Laufe von etwa 105 Minuten näher kennenlernen dürfen. Dafür hebt Cities of Last Things die Chronologie auf bzw. kehrt sie in ihr Gegenteil um. Wir beginnen am Ende mit Zhang als altem Mann und kehren von dort aus in die Vergangenheit zurück.
Das machen natürlich viele Filmemacher und Filmemacherinnen, meistens jedoch in Form von Flashbacks, welche die Gegenwart unterbrechen. Bei Cities of Last Things gibt es hingegen drei Zeitebenen, die nacheinander erzählt werden: Zhang als alter Mann, Zhang als Erwachsener, Zhang als Jugendlicher, jeweils verkörpert von einem anderen Darsteller. Das futuristische Szenario wird daher bald aufgegeben zugunsten eines eher zeitlosen. Und auch das Genre wechselt zwischendurch: Science-Fiction, Krimi und Drama wechseln einander ab, selbst eine Romanze findet irgendwo auf diesem Zeitstrahl ihren Platz.
Das Puzzle des Lebens
Das ist äußerst verwirrend, so wie es diese Rückwärtsfilme ja fast immer sind – siehe etwa Memento. Vieles, was anfangs keinen Sinn ergibt, gerade auch die Gewalttätigkeit des Polizisten, wird nach und nach entschlüsselt. Für Genrefans ist das dennoch weniger geeignet, auch wenn das anfangs so wirkt. Die kleinen brutaleren Einschübe dienen hier der Figurenzeichnung, weniger der Publikumsbespaßung. Cities of Last Things, das auf dem Toronto International Film Festival 2018 Premiere hatte, ist ein sehr ruhiger Film, der sich mit den Langzeitfolgen von Ereignissen befasst. Der aufzeigt, wie ein Menschenleben durch viele Erfahrungen beeinflusst und gelenkt werden kann, auf die wir nicht immer einen Einfluss haben.
Das hat etwas unangenehm Fatalistisches an sich, als wären wir nicht mehr Herr unseres eigenen Lebens. Außerdem ist die Atmosphäre recht melancholisch gehalten, wehmütig, ein Film voller Trauer und voll des Bedauerns. Das ist nicht unbedingt Material für ein größeres Publikum. Aber das würde ohnehin durch das erneute Fehlen einer Synchronisation abgehalten, Netflix hat da bekanntlich nur wenig Vertrauen in die fernöstlichen Einkäufe. Wer sich aber darauf einlässt auf diesen seltsamen und bedrückenden Film, wird reich belohnt, inhaltlich wie visuell. Der französische Kameramann hat ganz eigene grobkörnige Bilder auf den Bildschirm gezaubert, die ebenso viel verdecken, wie sie enthüllen. Die selbst dann aus einer fernen Zeit zu stammen scheinen, wenn sie in der mutmaßlichen Gegenwart gemacht wurden.
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