Alice (Sarah Stauffer) ist es gewohnt, anderen am Telefon alles anzudrehen. Dafür ist sie ausgebildet, damit verdient sie in einem Call Center am Rand von Zürich ihr Geld. Doch der normale Lohn reicht ihr nicht mehr, sie möchte ihr Talent auch anderweitig an den Mann bringen. Oder an die Frau. Und so hat sie sich ein einträgliches Nebengeschäft aufgebaut: Sie ruft ältere Damen an und gibt sich als deren Enkelin in Geldnot aus, die ohne die Hilfe der Oma nicht weiter weiß. Auch damit ist sie erfolgreich, immer wieder schröpft sie ihre ahnungslosen Opfer.
Von skrupellosen Methoden, wie ältere Menschen um ihr Hab und Gut erleichtert werden, dürften wir alle schon einmal gehört haben. Von Betrügern, die sich als Polizisten ausgaben, oder nur ein Glas Wasser wollten. Heutzutage ist es aber gar nicht mehr nötig, noch persönlich vorbeizuschauen. Das geht übers Telefon oder das Internet genauso gut, schneller, vielleicht auch einfacher. Man muss sich schließlich nicht verkleiden und kann dabei auch noch die Unsicherheit ausnutzen, wenn irgendwie die Technik dran beteiligt ist.
Der Film im Film … oder doch nicht?
Von eben einem solchen Fall haben auch die drei Personen zu Beginn von Dene wos guet geit gehört: Eine junge Frau soll sich als Enkelin ausgegeben und damit viel Geld erschwindelt haben. Das war am Gericht, sagt die eine. Oder vielleicht doch aus einem Film, erwidert der andere. Danach erzählt der Film eben diese Geschichte, von der nicht klar ist, ob sie nun real oder nicht ist, die Darstellung einer der drei oder doch etwas anderes. So wie man hier oft nicht genau sagen kann, was denn nun wirklich passiert.
Dabei hat Dene wos guet geit, das auf dem Locarno Festival 2017 Premiere hatte, die Anmutung eines Dokumentarfilms. Vieles wirkt hier so, als wäre es direkt aus dem Leben gegriffen – etwa die letzte Szene, die eine zufällige Aufnahme einer Überwachungskamera sein könnte. Gleichzeitig hat das Drama immer etwas Unwirkliches an sich. Beispielsweise sind relativ wenige Menschen im Lauf der 71 Minuten zu sehen, die Bilder scheinen aus einer Zeit zu stammen, als schon niemand mehr da war. Und auch die Gespräche der Figuren, sofern sie denn miteinander sprechen, sind von einer beiläufigen Entrücktheit, handeln von Zahlen, Versicherungen, dem Internet oder Filmen und Liedern, an die sich niemand mehr erinnern kann.
Menschen braucht kein Mensch
Aber wie sollten sie, wenn die Großmütter schon nur vage Vorstellungen ihrer Enkelinnen haben? Wenn hier alle nur Schemen bleiben? Regisseur und Drehbuchautor Cyril Schäublin zeigt eine Gesellschaft, in der das Zwischenmenschliche auf ein Minimum reduziert wurde. Auf Zahlenkolonnen, Taschenkontrollen und Überweisungen. Das geht teilweise mit Humor einher, zumindest möchte man manchmal aufgrund der Absurdität lachen. Aber es ist auch sehr bitter, was Dene wos guet geit da aufzeigt, wenn sich niemand mehr füreinander interessiert, sofern es nicht gerade um Geld geht. Das Thema würde sich eigentlich für einen Krimi anbieten. Stattdessen hat der Schweizer aber ein Drama daraus gemacht, das sich selbst an keine Regeln hält.
Die schauspielerischen Leistungen sind dabei nicht überwältigend, was allerdings nicht übermäßig stört. Es passt sogar zu einem Film, der immer irgendwie „off“ wirkt, etwas seltsam, nie ganz real. Doch auch wenn das hier leicht dystopische Anklänge hat, vielleicht mit ein wenig Satire durchsetzt, Dene wos guet geit hat seine Wurzeln natürlich schon in der Gegenwart, im hier und jetzt. Die betrügerischen Aktivitäten und die Probleme der Polizei, sie sind nur Randerscheinungen einer Gesellschaft, die sich selbst immer mehr aus den Augen verliert. In der es eigentlich niemandem so richtig gut geht, nicht im Call Center, nicht in den Heimen, nicht auf den leeren Straßen. Und schon gar nicht in den Filmen, an die man sich erinnert oder auch nicht erinnert, während man sich selbst fragt, ob es sie je gegeben hat.
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