26 Jahre ist Nicholas II (Robert Jack), als sein Vater stirbt und ihm die Herrschaft über das russische Großreich überlässt. Ein großes Erbe, das von Anfang an von zahlreichen Herausforderungen geprägt ist. Beispielsweise lastet auf dem unerfahrenen Monarchen die Bürde, selbst einen Thronfolger zu zeugen. Doch die Ehe mit Alix von Hessen-Darmstadt (Susanna Herbert) brachte bislang nur Töchter hervor. Als dann doch beim fünften Anlauf ein Sohn geboren wird, stellt der sich als schwer krank heraus – eine ideale Voraussetzung für den Mönch Rasputin (Ben Cartwright), Einfluss über die Kaiserfamilie zu gewinnen. Gleichzeitig erstarken im ganzen Land Kräfte, die eine Reform des Reiches fordern.
Dokumentationen gibt es auf Netflix natürlich nicht zu knapp, vor allem die Bereiche Essen und Verbrechen sind sehr üppig abgedeckt. Mit Die letzten Zaren wagt sich der Streamingdienst mal an ein neues Thema, wenn wir hier von dem Schicksal der letzten russischen Herrscherfamilie erfahren – zumindest der offiziellen, absolutistische Tendenzen gab es später schließlich noch oft genug. Vor allem wagt man sich hier an ein neues Format, wenn klassische Dokumentartechniken mit historischen Dramen gekreuzt werden.
Erste und dritte Person im Wechsel
In Maßen gab es das natürlich schon immer, bei Dokumentationen einzelne Szenen zur Veranschaulichung nachspielen zu lassen. Das soll die Geschichte greifbarer und lebendiger machen, anschaulicher. Denn zuzusehen, wie Menschen etwas tun, das hinterlässt meist mehr Eindruck, als nur davon zu hören. Während diese sogenannten Reenactment-Szenen üblicherweise aber nur einen kleinen Anteil haben, werden sie hier ähnlich zu Die Unsichtbaren – Wir wollen leben in den Mittelpunkt gestellt. Das bedeutet im Klartext, dass wir der Herrscherfamilie während bedeutender Abschnitte in ihrem Leben zusehen, diese anschließend von Experten und Expertinnen kommentiert werden.
Ganz glücklich ist diese Kombination bei Die letzten Zaren nicht. Auch wenn es beispielsweise reizvoll ist, zwischendurch immer wieder Originalaufnahmen und historische Fotos zu sehen, so durchbrechen sie doch immer wieder den Fluss, den der Dramapart aufzubauen versucht. Man schafft es nie so recht, eine Verbindung zu den Figuren aufzubauen, da die anschließenden Kommentare oder auch parallelen Voiceovers klar machen, dass es eben nur Figuren sind. Die Illusion, dass etwas wahr ist – was die meisten Filme und Serien beabsichtigen –, die funktioniert auf diese Weise nicht.
Zwei Welten ohne Versöhnung
Umgekehrt dürften Zuschauer und Zuschauerinnen, die letztendlich an der puren Geschichte der Familie interessiert sind, von den so offensichtlichen Dramatisierungen irritiert werden. Braucht es beispielsweise die hochtrabende Musik bei den Wendepunkten? Die ausführlichen Sexszenen, um das Verhältnis des Ehepaares zu zeigen? Mit klassischen Mitteln soll bei Die letzten Zaren für Spannung und Schauwerte gesorgt werden, was in Kombination aber zu widersprüchlich ist. Mal würde man sich wünschen, das Ensemble würde mehr Zeit zur Entfaltung bekommen, anstatt nur plakativ auftreten zu dürfen – vor allem die Szenen rund um Rasputin lassen einen zusammenzucken. Mal wäre es zielführender, die Entwicklungen schneller in der dritten Person zusammenzufassen, anstatt wieder hinüber zu den Drama-Szenen zu wechseln.
Die Geschichte selbst ist natürlich hoch spannend, selbst in dieser etwas fragwürdigen Form. Der Fall der russischen Herrscherfamilie im Zuge einer landesweiten Revolution, die lange unterschätzt wurde, ist auch deshalb so tragisch, weil er durch weniger Hochmut vermutlich hätte vermieden werden können. Der Wandel kündigte sich lange genug an, wurde an den entscheidenden Stellen jedoch ignoriert. Die letzten Zaren zeigt eben nicht nur das individuelle Schicksal Russlands, sondern steht stellvertretend für den Kampf der Massen gegen eine Ausbeutung und Bevormundung von oben. Ein Kampf, der sich in anderen Teilen der Welt immer wieder wiederholt, auch wenn es manche gibt, die sich inzwischen doch wieder starke Herrscher zurückwünschen. Die Sehnsucht nach einer Zeit, als das alles vielleicht nicht besser, wohl aber einfacher war.
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