Eigentlich ist es die Aufgabe von Stuart (Emilio Estevez) und Myra (Jena Malone), sich um die Bücher in ihrer Bibliothek bzw. die Leser und Leserinnen zu kümmern. Doch schon seit einiger Zeit geht der größte Andrang von einer Gruppe von Obdachlosen aus, die der eisigen Kälte des Winters entkommen wollen, zumindest für ein paar Stunden. Als die Temperaturen weiter ins Bodenlose stürzen und die Obdachlosenheime heillos überfüllt sind, beschließen Jackson (Michael Kenneth Williams) und einige andere, die Nacht über in der Bibliothek verbringen zu wollen. Während sie dabei Unterstützung durch die Angestellten erfahren, sind andere empört. Vor allem Polizei-Unterhändler Bill Ramstead (Alec Baldwin) und Staatsanwalt Josh Davis (Christian Slater) wollen alles dafür tun, damit die Männer und Frauen möglichst schnell wieder auf der Straße sind.
In den 80er Jahren sah es noch so aus, als würde Emilio Estevez im Vergleich zu seinem Bruder Charlie Sheen der berühmtere der beiden werden – immerhin spielte er in bedeutenden Titeln wie The Breakfast Club und The Outsiders mit. Doch während Sheen mit den Jahren immer mehr die Schlagzeilen dominierte, sowohl durch die Erfolgsserie Two and a Half Men wie auch private Eskapaden, da verschwand Estevez fast völlig von der Bildfläche. Nur eine Handvoll Filme drehte er noch in den letzten beiden Jahrzehnten, vorrangig solche, bei denen er selbst Regie führte. Und selbst damit war irgendwann Schluss, nach Dein Weg dauerte es acht Jahre, bis er sich wieder blicken ließ.
Der Kampf um die Schwachen
War sein letzter Film noch von einer sehr persönlichen Natur – auch weil sein Vater Martin Sheen die Hauptrolle übernahm –, da verfolgt Ein ganz gewöhnlicher Held sehr viel größere Ziele. Estevez will mit seinem Drama nicht nur Missstände anprangern, sondern ganz allgemein eine gesellschaftliche Debatte anstoßen. Wie gehen wir mit Menschen um, die schwächer sind und keine Perspektive haben? Tun wir genug? Wie viel Mitgefühl sollen wir anderen gegenüber mitbringen? Das ist gerade in einer Zeit, in der in den USA schwere Verteilungskämpfe stattfinden, angeordnet von ganz oben, von einer nicht zu leugnenden Relevanz.
Estevez muss hierbei nicht einmal namentlich die aktuelle Führung der US-Politik anprangern. Wenn von sozialer Kälte die Rede ist, die mit einer meteorologischen Kälte einhergeht, dann weiß man auch so, was gemeint ist. Dabei bekommen sie alle ihr Fett weg. Die Polizei, die in frierenden Obdachlosen Kriminelle sieht. Die Staatsanwaltschaft, die den Fall lediglich als Gelegenheit wahrnimmt, die eigene Karriere in Schwung zu bringen. Selbst die Medien kommen nicht sonderlich gut weg, wenn sie sich kaum für die Geschichte interessieren, von den Menschen ganz zu schweigen. Sie brauchen das Spektakel, damit möglichst viele brav zuschauen, während sie daheim in kuschelige Decken gehüllt vor der Glotze sitzen.
Habt ihr es immer noch nicht verstanden?
Das ist alles nicht sonderlich subtil von Estevez gezeichnet. Im Gegenteil, er erstickt jede Möglichkeit von Ambivalenz oder auch Missdeutung unter tonnenschwerem Ballast. Dass Stuart mit Nachnamen Goodson heißt ist ebenso unnötig wie die vielen tragischen Hintergrundgeschichten, die bis zur kleinsten Nebenfigur eingebaut werden. Und wenn selbst das nicht ausreicht, neigt das Drehbuch zu sehr dick aufgetragenen Dialogen, die endgültig dazu führen, dass Ein ganz gewöhnlicher Held mehr wie ein Theaterstück als wie ein Film wirkt. Sollte es die Absicht des Regisseurs und Drehbuchautors gewesen sein, das tatsächliche Leben auf der Straße zu porträtieren, hat er sich und seinem Werk keinen Gefallen mit diesen ständigen Überhöhungen getan.
Ohne Verdienst ist das Drama aber natürlich nicht. Auch wenn die Umsetzung teilweise zu wünschen übrig lässt, mal zu viel macht, mal auch zu wenig – diverse Figuren sind dann doch nur die üblichen Stereotype –, der Film hat das sprichwörtliche Herz am rechten Fleck. Einige der leiseren Momente, wenn sich Ein ganz gewöhnlicher Held allein auf die Figuren konzentriert, anstatt dem Ganzen eine Bedeutung geben zu wollen, sind auch sehr schön geworden. Und letztendlich ist die Geschichte um eine spontane Solidarität auch etwas fürs Herz, ein kleines Weihnachtsmärchen, das bei uns mitten in der Sommerhitze ins Kino kommt. Der Beitrag vom Toronto International Film Festival 2018 ist gleichzeitig Eskapismus und gesellschaftliches Gewissen, erinnert uns an die Not da draußen und lässt uns doch von einer besseren Welt träumen.
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