Manchmal sind es Versprechen, die einem abgenommen wurden, die uns zurück in unsere Heimat bringen. So erging es zumindest dem 39-jährigen Regisseur José Pablo Estrada Torrescano, dem seine Großmutter Maria del Carmen Torrescano, liebevoll Mamacita genannt, versprechen ließ, er müsse einen Film über sie machen, wenn er mit seiner Ausbildung in Europa fertig sei. Nach einem dreijährigen Studium an der tschechischen FUMA (Prag), in welchem er sich auf Regie spezialisierte, sowie der Teilnahme am Berlin Talent Campus im Jahre 2013, beschloss Torrescano, dass es wohl nun Zeit sei, seinem Versprechen Taten folgen zu lassen. Das Ergebnis eines siebenjährigen Schaffensprozesses ist die Dokumentation Mamacita, ein Porträt seiner Großmutter, aber auch eine Spurensuche nach der eigenen Familie und deren Geheimnissen. Anlässlich des Deutschlandstarts des Filmes haben wir uns mit dem Regisseur zusammengesetzt, um mit ihm über den Film an sich, dessen Themen und wie ihn die Produktion verändert hat zu sprechen.
Ihre Großmutter ist im Film sehr kritisch, was ihr Äußeres angeht. Was würde sie wohl zu Ihrem Zopf und dem Bart sagen?
(lacht) Sie hat mich schon so gesehen und war sehr zufrieden mit meinem Aussehen. Sie mag es nicht, wenn mein Haar so lang ist, dass sie mein Gesicht nicht sehen kann. Als sie mich mit dem Pferdeschwanz gesehen hat, hat sie gelacht und schließlich gesagt, ich sehe gut aus. Keine Ahnung, was sie zu dem Bart wohl sagen würde.
Wow, das ist ein großes Kompliment von jemandem, der sehr kritisch ist, was das eigene Erscheinungsbild und das der anderen angeht?
Das stimmt, dann sagt sie aber auch am Anfang des Films, ich sehe wunderschön aus, wobei wir mit der Zeit herausfinden, dass das nicht stimmt. Vielleicht hat sie mich also angelogen. Wer weiß.
Auch wenn wir die Motivation dahinter verstehen, ist Mamacita doch ein sehr persönliches und schwieriges Thema für den ersten Film. Warum haben Sie sich dennoch für dieses Projekt für Ihren ersten Langfilm entschieden?
Zu der Zeit sah ich keine andere Möglichkeit, hatte keine andere Idee und dann war da ja auch noch das Versprechen, das ich Mamacita gegeben hatte, bevor ich Mexiko verließ. Dann beschloss ich, es einfach zu versuchen und wann immer ich mit anderen über das Projekt oder meine Recherche sprach, zum Beispiel mit meinen Professoren oder meinen Freunden, waren die Reaktionen immer sehr positiv. Ich verstand, dass dieses Projekt ein gewisses Potenzial hatte, vor allem als meine Gesprächspartner immer mehr über die Geschichte Mamacitas wissen wollten. Als wir dann das erste Mal eine Rohfassung des Telefonanrufs, der im Film ganz zu Anfang stattfindet und nun wesentlich kürzer ist, einem Publikum zeigten, merkte ich, wie die Menschen auf die Sequenz reagierten. In der Folge habe ich immer mehr ausprobiert, immer mehr herausgefunden und es kam immer die gleiche Reaktion. Das hat mich davon überzeugt weiter zu machen.
Wie viel von dem Film, den wir nun in den Kinos sehen, ist denn geplant gewesen?
Ich habe nur wenig geplant, wie beispielsweise den Anruf oder zu ihrem Haus zu kommen. Dann wollte ich ihr bestimmte Dinge wie Fotos zeigen und ihre Reaktion filmen. Mamacita nimmt keine Anweisungen entgegen, denn sie schauspielert nur in der Weise, wie sie es für richtig hält. Deswegen wirken viele Szenen improvisiert, da ich immer von ihren Reaktionen ausgehen musste.
Die Welt um Mamacita herum, ihr Grundstück und ihr Haus, wirken fast wie eine Art Schutzschicht oder eine Seifenblase, abgeschirmt vom Rest der Welt. Wie war es für Sie, in dieser Welt zu leben?
Für mich war es kein großes Problem, da ich, wenn ich nicht gerade Mamacita gegenüber saß, im Rest des Hauses oder wenn ich anderen Personen begegnete ich selbst sein konnte. Ich glaube, für meinen Kameramann [Juan Sánchez Tamez] war es sehr anstrengend, für drei Monate in diesem Haus zu leben. Wir filmten meist circa acht Stunden täglich und danach brauchten wir beide meist eine Auszeit. Da er Mexiko City nicht kannte, habe ich ihm dann die Stadt gezeigt, wir sind was essen und trinken gegangen, um wieder frei atmen zu können.
Ab einem gewissen Punkt wirkt ihr Film fast schon wie ein Statement darüber, was es heißt, eine Frau zu sein in der heutigen Gesellschaft.
Klar. Ihre Lebensgeschichte hat viel damit zu tun erfolgreich zu sein und respektiert zu werden. Für die waren und sind diese Dinge enorm wichtig. Trotz der Tatsache, dass sie all diesen materiellen Erfolg hatte, war sie aber nicht glücklich, konnte nicht mit den Problemen Kindheit umgehen, obwohl sie es bestimmt versuchte. Ich habe mit dem Film versucht ihr zu helfen, mit diesen Problemen abzuschließen und vergeben zu können.
Ist das der Grund, warum sie sich im Film einbildet diese „Geister“ zu sehen?
Keine Ahnung. Ich habe sie nie gesehen.
Obwohl der Film am Ende „nur“ 75 Minuten lang ist, scheint es so, als ob Sie mit sehr viel mehr Material Mexiko verlassen haben. Wie viel haben Sie gefilmt und wie sind Sie mit dem Material umgegangen?
Die erste Fassung war ungefähr zwei Stunden lang und funktionierte, da sich das Publikum unterhalten fühlte. Aber in meinen Augen fehlte dieser Version etwas, weshalb wie immer wieder in den Schneideraum gingen, bis wir letztlich zu dieser Version kamen, die man nun in den Kinos sehen kann. Ich musste viele schöne Szenen herausschneiden, aber nun haben wir die Essenz dessen, was ich meinem Film sagen will. Beim Schnitt haben wir uns nie wirklich Gedanken gemacht darüber, wie lange der Film wohl sein soll oder muss. Es hätte auch sein können, dass er am Ende ein oder mehr als zwei Stunden dauert. Indem wir ihn immer wieder Leuten gezeigt haben, fanden wir heraus, was die beste Variante ist, wann der Film ein Publikum erheitert aber auch bewegt. Immer wieder kommen jetzt Leute zu mir nach Vorstellungen, die mir die Geschichte ihrer Familie erzählen. Ich glaube, viele Menschen erzählen mir diese Geschichten, weil sie sich über bestimmte Dinge in ihrer Familie noch nicht im Klaren sind oder diese noch nicht verarbeitet haben. Mein Film zeigt hoffentlich, dass dies immer möglich ist.
Jetzt, da Sie das Versprechen Ihrer Mamacita gegenüber eingelöst haben, was haben Sie nun vor? Wie sieht die Zukunft für José Pablo Estrada Torrescano aus?
Im Moment sehe ich, wie der Film mich selbst verändert hat. Wenn Mamacita nun in der Kinos anläuft, ist das der letzte Teil eines Prozesses, dem ich sieben Jahre meines Lebens gewidmet habe. Danach hat der Film ein eigenes Leben, auf das ich keinen Einfluss mehr habe. Für mich selbst möchte ich nun herausfinden, was mich als Nächstes interessiert. Vielleicht ziehe ich dazu aus Düsseldorf weg. Ich werde mich etwas treiben lassen und dann wird sich ein neues Thema zeigen. Es muss nicht zwingend dabei ein Film über mich herauskommen. Jetzt, wo Mamacita in den Kinos ist, fragen mich viele Freunde und Bekannte, ob ich ihnen bei ihren Projekten helfen kann, sodass ich vielleicht auch einige Zeit an anderen Filmen arbeite. Ich werde mich immer weiterentwickeln und mache mir keine Sorgen darüber, was die Zukunft bringen mag.
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