Für Dani (Florence Pugh) bricht eine Welt zusammen, als sie gleichzeitig ihre Schwester und ihre Eltern verliert. Nur zu gerne nimmt sie daher die Einladung ihres Freundes Christian (Jack Reynor) an, gemeinsam mit ihm und seinen Freunden nach Schweden zu fahren. Zusammen mit Mark (Will Poulter), Josh (William Jackson Harper) und Pelle (Vilhelm Blomgren) machen sie sich daher auf den Weg, um in der Provinz mit Pelles Familie die Sommersonnenwende zu feiern. Die Leute sind freundlich, es scheint immerzu die Sonne, die perfekte Gelegenheit, um ein wenig auszuspannen! Doch bald schon beschleicht die Truppe das Gefühl, dass da irgendetwas nicht ganz stimmt.
„Niemand wird da sein, wenn Sie Hilfe brauchen. In der Nacht. In der Dunkelheit.“ Mit diesen Worten warnte die Haushälterin in dem Klassiker Bis das Blut gefriert einst vor dem Unheil, das in der Nacht auf die Bewohnerinnen des Spukhauses auf sie wartet. Und auch wenn mehr als 50 Jahre seither vergangen sind, das Horror-Genre viele Veränderungen und Trends mitgemacht hat, eins ist doch geblieben: Wenn es besonders spannend werden soll, dann spielt eine Geschichte in der Nacht. Denn sobald die Sonne untergegangen ist und wir kaum noch erkennen können, was um uns herum passiert, dann reichen schon knarzende Holzböden, um uns eine Heidenangst zu machen.
Es werde (und bleibe) Licht!
Dass es aber auch ganz anders geht, das zeigt uns Midsommar. Dort gibt es keine Spukhäuser, Holzböden sind ebenfalls eine Seltenheit. Vor allem aber geht die Sonne niemals wirklich unter, schließlich wird hier das Mittsommerfest gefeiert. Das ist als Szenario für einen Horrorfilm natürlich ungewöhnlich, wenn nicht gar tollkühn. Lässt sich überhaupt Spannung erzeugen, wenn alles immer sichtbar ist? Umso mehr, wenn das Geschehen auf einer weiten Wiese stattfindet. Die Wälder sind zwar nicht fern, werden aber nie wirklich betreten. Allenfalls ein paar Blockhäuser gibt es hier, welche theoretisch die Sicht verdecken könnten.
Aber das will Ari Aster überhaupt nicht. Der für sein Spielfilmdebüt Hereditary – Das Vermächtnis gefeierte Regisseur und Drehbuchautor macht keinen wirklichen Hehl daraus, was im schwedischen Nirgendwo so vor sich geht. Aufmerksame Zuschauer und Zuschauerinnen werden auf Schritt und Tritt die Vorboten für das finden, was sich später noch alles zutragen wird. Für die amerikanische Truppe gilt das nicht, die ist viel zu fasziniert, teilweise auch zu berauscht, um zu erkennen, was Sache ist. Dieser Wissensvorsprung ist bei Horrorfilmen immer so eine Sache. Allzu oft führt er zu Ärger darüber, wie schrecklich blöde sich doch alle da auf der Leinwand anstellen, man das selbst doch alles viel besser gekonnt hätte.
Alles bekannt, alles seltsam
Bei Midsommar fällt dieser Ärger aber gering aus. Zum einen sind die Leute fernab von der Zivilisation gestrandet, der Natur dermaßen ausgeliefert, dass die Optionen ohnehin überschaubar wären. Trotz der weiten Flächen hat das hier immer etwas Klaustrophobisches an sich. Zum anderen ist das Setting auch einfach viel zu verzaubernd, zu seltsam auch: Nicht nur des gelegentlichen Drogenkonsums wegen hat man hier das Gefühl, nie ganz da zu sein. Da spielt auch die audiovisuelle Umsetzung mit rein. Mal sind es eigenwillige Kamerafahrten, die uns aus dem Konzept bringen, befremdliche Musik im Hintergrund, bizarre Symbole, die hier überall angebracht sind. Der Film ist so detailverliebt und kunstvoll zusammengestellt, dass man selbst fast vergisst, welche Gefahren hinter den strahlendweißen Kostümen und dem immergrünen Umfeld warten.
Dieses sonnendurchflutete Ambiente im Friede-Freude-Paradies ist natürlich das krasse Gegenteil von Hereditary, das viel mit Schatten und nächtlichen Albträumen spielte. Zwei Eigenschaften des Films hat Aster aber auch in seinen neuen Film mitgenommen. Die weniger schöne ist, dass auch der zweite Spielfilm des US-Amerikaners ein gutes Stück zu lang wurde und sich zwischenzeitlich etwas zu oft im Kreis dreht. Äußerst gelungen ist dafür erneut die Figurenzeichnung. Wo bei der Horrorkonkurrenz meist nur Kanonenfutter auf die Leinwand gekarrt wird, dessen einziger Zweck das eigene Ableben ist, da sind hier echte Charaktere unterwegs. Die muss man nicht unbedingt mögen, gerade Will Poulter (Black Mirror: Bandersnatch) schafft es spielerisch leicht, widerwärtig zu sein. Und auch sonst ist das Ensemble fantastisch, braucht oft nicht viel, wenige Worte, um sehr menschliche Geschichten zu erzählen. Die nehmen einen nicht ganz so mit wie beim letzten Werk des Filmemachers, auch die fehlenden Überraschungen tragen dazu bei, dass Midsommar etwas weniger Eindruck hinterlässt. Doch auch so bleibt genügend übrig, um Asters Ruf als Lichtgestalt des Horrorgenres zu festigen – ob nun bei Tageslicht oder in der Nacht. Schockmomente sind zwar in der Minderheit. Dafür durfte man sich selten derart schön verstören lassen wie hier.
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