Acid
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Acid

Acid
„Acid“ // Deutschland-Start: 8. August 2019 (Kino)

Sasha (Filipp Avdeev) und Petys (Aleksandr Kuznetsov) sind beste Freunde, feiern zusammen, sind auf der Suche nach Mädchen. Ein bisschen geben sie sich auch einander den Halt, den sie daheim nicht finden. Und den werden sie brauchen, nachdem einer ihrer Bekannten Selbstmord begangen hat, vor ihren Augen. Doch was nun? Weiterfeiern? Gibt es überhaupt einen Sinn in dieser Welt? Auf ihrer Suche geraten sie auch immer wieder aneinander, vor allem Sasha tut sich schwer damit, seinen Weg zu finden, zumal er manchmal selbst nicht genau weiß, wie er sein Verhältnis zu seinem besten Freund definieren soll.

Und sie reißen einfach nicht ab, die russischen Filme, die hierzulande von daheim erzählen, das keine Heimat ist, von kaputten Gesellschaften und noch kaputteren Menschen. Ob sich in Ayka illegale Einwanderer in sklavenähnlichen Verhältnissen wiederfinden, Loveless einer auseinanderbrechenden Familie zusieht oder Die Sanfte einen brutalen Bürokratiealltag aufzeigt: Werbung machen die Filmemacher*innen aus dem Osten nun nicht gerade für ihr Vaterland. Inwiefern diese Werke tatsächlich stellvertretend sind für eine pessimistische Kunst oder die Auswahl der hiesigen Veröffentlichungen den Blick verfälscht, das sei mal dahingestellt. Auffällig ist es schon, wie düster diese Werke allesamt sind.

Das Ende der Jugend
So oder so verwundert es nicht, dass nun auch Acid den Weg hierher gefunden hat. Zu sehen war das russische Drama schon mehrfach in Deutschland, damals im Rahmen von Filmfesten. Auf der Berlinale beispielsweise, wo es als internationale Premiere gezeigt wurde. Nun dürfen sich auch reguläre Kinogänger*innen davon überzeugen, vielleicht doch besser den nächsten Russland-Urlaub abzusagen. Wobei hier immerhin mal nicht gekämpft wird. Zumindest nicht direkt. Beschimpfungen sind hingegen schon gebräuchlich, mal auch ein Schlag. Oder es gibt psychische Gewalt. In einer der ersten Szenen wird ein mit Drogen vollgepumpter Jugendlicher aufgefordert, doch vom Balkon zu springen. Was er dann auch tut.

Reue? Nein, die verspürt Petys nicht. Zumindest nicht sofort. Allgemein zeigt Acid etwas, das sich schon in anderen Filmen aus Russland angedeutet hat: Gefühle sind aus. Außer man wollte Langeweile als Gefühl bezeichnen. Leere. Keiner von den jungen Menschen hier hat eine Perspektive. Das hat ausnahmsweise mal nichts damit zu tun, dass sie aus prekären Verhältnissen stammen. Geld scheint nie Thema zu sein. Schlimmer aber: Es gibt keine funktionierenden Väter. Manchmal auch keine Mutter, nicht richtig. Der Halt der Familie ist fort, auch Traditionen dienen kaum mehr als Stütze. Das ist etwas für die Alten, wenn sie wollen.

Die Sehnsucht nach dem Schmerz
Und was wollen Sasha und Petys und die vielen anderen, an deren Namen wir uns nicht erinnern können? Das weiß keiner so recht, nicht einmal sie. Ihr Problem ist, so heißt es an einer Stelle, dass sie kein Problem haben. Das haben andere natürlich auch nicht. Was sonst jedoch gerne zu destruktivem Verhalten führt, ist hier allenfalls der Wunsch nach Destruktivem. Sasha will beweisen, dass er ganz schlimm ist, vermutlich weil das leichter zu ertragen ist als die Vorstellung, ein Niemand zu sein. Drehbuchautor Valery Pecheykin gibt den Figuren dann auch nicht so richtig viel mit, das sie aus der Masse herausstechen lassen würde. Eigentlich weiß man anderthalb Stunden später noch immer nicht, mit wem man da seine Zeit verbracht hat, was sie wollten. Auch die homoerotischen Untertöne werden nie so konkret, dass sie zu einem greifbaren Thema würden.

Das geht teilweise mit den üblichen Klischees einer verlorenen Jugend einher. Drogen und Techno zum Beispiel. Andere Bilder und Elemente sind schon ungewöhnlicher, darunter die titelgebende Säure. Auch sonst schwankt Acid ein wenig, mutet mal sehr dokumentarisch an, teilweise eher überhöht, fast schon wie eine Theaterbühne. Der Film ist nicht so böse und hart, wie er manchmal tut. Er schreit ein wenig, weil ihm die Worte fehlen und doch irgendetwas raus muss. Er will weh tun, nur um im letzten Moment dann doch vor sich selbst zurückzuschrecken. Das kann anstrengend sein, verwirrend, manchmal auch nur traurig – und findet mitten auf der Straße die wohl eigenartigste Hoffnung, die man sich (nicht) vorstellen kann.



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In „Acid“ treiben zwei junge Russen ziellos durch den Tag, zwischen Sex, Leere und Party. Das geht mit einigen Klischees einher und ist auch nicht immer so ganz konsequent bei der Sache. Und doch bleibt dieses Porträt einer verlorenen Jugend nicht ohne Wirkung, wenn die Sehnsucht aus den Figuren herausschreit, die innere Leere irgendwie zu füllen.
7
von 10