Nach dem Tod seiner Frau Jeanne-Claude im Jahre 2009 verschwand der Künstler Christo lange Zeit aus der Öffentlichkeit. Der Verlust bedeutete für ihn einen tiefen persönlichen wie auch künstlerischen Einschnitt, da sie bis dato alle Projekte, von „Valley Curtain“ bis hin zum „Verhüllten Reichstag“ alles zusammen geplant und zeitaufwendig realisiert hatten. Mit dem Projekt „Floating Piers“, einer Installation, die aus mehreren mit Stoff bespannten Stegen besteht und über einen See geht, kehrte Christo nicht nur zurück ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, sondern machte es sich gleichzeitig zur Aufgabe, ein Projekt anzugehen, welches er und seine Frau bereits zweimal versucht hatten zu realisieren.
Die meisten der Projekte Christo und Jeanne-Claudes, ihre Entstehung und ihr teils nicht unproblematischer Aufbau, sind in vielen Dokumentationen beschrieben. Insbesondere die Brüder Albert und David Maysles begleiteten, zusammen mit vielen weiteren Filmemachern, den Entstehungsprozess von Werken wie „Valley Curtain“ (1972), „Running Fence“ (1976) und „Islands“ (1980). Im Falle von „Floating Piers“ fiel dem Bulgaren Andrey M. Paounov (Das Moskitoproblem und andere Geschichten), einem Landsmann Christos, die Aufgabe zu, das Projekt zu begleiten. Die Dokumentation Christo – Walking on Water, das Ergebnis der Sichtung von über 700 Stunden Material, feierte auf dem Filmfestival in Locarno 2018 seine Premiere.
Die Figur des Künstlers
Zuschauer, die bereits mit den Dokumentationen über andere Projekte Christos und seiner Frau Jeanne-Claude vertraut sind, werden in Walking on Water sehr viel Bekanntes sehen. Das ehrgeizige Projekt, das letztlich auf dem Iseosee in Italien verwirklicht wurde, durchläuft viele Phasen, von der Auswahl des Stoffes sowie dessen Befestigung an den Stegen bis hin zu der nicht immer unproblematischen Koordination des Projekts. Insbesondere der nicht abreißende Besucherstrom, der die Stabilität der Stege vor eine gewaltige Probe stellt, ist eine immer wiederkehrende Quelle der Frustration für Christo wie auch sein Team.
Daneben zeigt die Paounov Christo als durchaus streitbare Persönlichkeit. Gerade in der ersten Hälfte wird man die ein oder andere Eigenheit feststellen, wie beispielsweise dessen Kauzigkeit und Grantigkeit, aber bei all dem auch die nicht abreißende Begeisterung für die Kunst, die er seit so vielen Jahren schafft. In den privatesten Momenten merkt man die immer noch währende Präsenz seiner Frau an, von der er stets in der Gegenwart spricht. Dann wiederum freut man sich mit Christo, wenn dieser mit kindlicher Freude, nach Stunden der Anstrengung und eines Gewitters, die Fertigstellung der Stege verkünden darf. Dies alles begleitet von der schönen, ausdrucksstarken Musik Saunder Juriaans’ und Danny Bensis.
Was es heißt Kunst zu machen
Die wohl wichtigste Errungenschaft von Walking on Water besteht darin, dass er definiert, was es heißt heutzutage Kunst zu schaffen und welcher Beziehung der Künstler zu seinem Publikum haben will. Während viele Filme den Künstler als Eigenbrötler darstellen, der sich kaum aus seinem/ihrem Atelier entfernt, will Christo nach draußen und, wie er sagt, „echten Wind und echte Angst“ spüren. Dieses Erlebnis von Echtheit ist, gerade in einer digitalen Welt wie der heutigen, im Zentrum eines Projekts wie „Floating Piers“, das Menschen verbindet, begehbar und damit erfahrbar ist. Das magische Erlebnis des Auf-dem-Wasser-Gehens bleibt ein einmaliges Lebensereignis, was nicht wiederholt wird oder nur auf wenige Tage begrenzt ist, was erklärt, warum keines der bisherigen Projekte der Künstler bestehen blieb.
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