Als im Herbst 2018 die Proteste rund um die Rodung des Hambacher Forstes ihren Weg in die Medien fanden, war die Qualität des Echos ein weitaus anders als in den Jahren zuvor. Zwar begleiteten die Berichte schon seit Jahren die deutsche Öffentlichkeit, doch erst mit den drastischen Bildern der Räumungen im Wald sowie dem tragischen Tod eines Bloggers, der eben diese fotografieren wollte, wurde der Protest gegen die Pläne des Konzerns RWE zu einer Massenbewegung.
Zu diesem Zeitpunkt begleitete die aus Spanien stammende Dokumentarfilmerin Karin de Miguel Wessendorf schon seit drei Jahren die Proteste rund um den Tagebau. In ihrem Regiestatement sagt sie, dass sie bereits im Frühjahr 2015 von den Baumbesetzern im Hambacher Forst gehört hatte sowie die Proteste gegen RWE. In Die rote Linie zeigt sie nun chronologisch betrachtet die einzelnen Wegpunkte dieses Protestes über die RWE Hauptversammlung 2016 oder die Aktion „Rote Linie“ 2017, lässt Bürger, Aktivisten sowie Repräsentanten des Konzerns zu Wort kommen und zeigt, wie es zu einer solchen Eskalation im Herbst 2018 kommen konnte.
Eine Linie ziehen
Mittels vieler Interviews sowie anhand von Archivaufnahmen erhält der Zuschauer eine Übersicht über die Ereignisse, die Parteien sowie die Bedeutung des Hambacher Forst für die Menschen. Das Symbol der roten Linie, welches den Film durchzieht, steht hier für vielerlei, aber vor allem für die schier unüberwindbare Grenze zwischen dem Volk und den Vertretern von Wirtschaft und Politik. Ähnlich wie bei Dokumentationen wie Hamburger Gitter über die Proteste rund um den Hamburger G20 Gipfel, zeigt sich ein auf Eskalation ausgerichtetes Bild eines Systems, welches den Blick auf den Bürger verloren hat und bei dem andere, in diesem Falle wirtschaftliche, Interessen im Vordergrund stehen.
Rote Linien zeigen, wie in der gleichnamigen im Film gezeigten Aktion, die Solidarität von Menschen. Sie bezeichnen eine Linie, die, ähnlich wie die Klimaziele Deutschlands, nicht überschritten werden darf, da ansonsten die Grundfesten des Zusammenlebens gestört werden.
Heimatfresser
Die rote Linie begreift sich keinesfalls nur als eine Darstellung eines vergangenen Ereignisses. Es braucht nicht explizit gesagt werden, welches Auswirkungen die globale Erwärmung für uns alles hat und das es sich bei der Erhaltung von Naturräumen wie dem Wald nicht länger mehr nur um die Bewahrung eines typisch deutschen Sehnsuchtsortes handelt. Wenn die Kamera zusammen mit Lars Zimmer durch sein Dorf zieht, die gespenstische Atmosphäre dieses verlassenen Ortes einfängt, den am Ende scheinbar nur noch er bewohnt, sollte man begreifen, was hier auf dem Spiel steht. Die „Heimatfresser“, wie sie Zimmer bezeichnet, sind längst nicht mehr nur die Bagger, die im Auftrag RWEs sein Dorf wegtragen und abreißen, sondern es sind auch jene sturen Positionen der „da oben“, deren Entscheidungen das Konstrukt Heimat in den nächsten Jahren prägen werden. Wenn es nicht die Bagger sind, dann wird es vielleicht bald eine unerträgliche Hitze, verursacht durch den Klimawandel, sein, die das Verbleiben in der Heimat unmöglich macht.
So schließt sich der Kreis in Die rote Linie. Es wird immer wichtiger jene Grenzen zu überwinden, jenen Dialog zu suchen, da das Bestehen auf wirtschaftlichen Interessen nicht mehr länger im Vordergrund stehen kann. Schade nur, wenn eine Seite, wie man in Die rote Linie aber auch in Hamburger Gitter sieht, dazu nicht bereit ist. Damit wird nicht mehr länger nur die Natur und die Heimat geschädigt, sondern auch die demokratischen Grundmauern unseres Staates.
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