Als sein Kollege brutal ermordet wird, steht für den dänischen Polizisten Christian (Nikolaj Coster-Waldau) fest, dass er den Täter um jeden Preis schnappen muss. Und so heftet er sich gemeinsam mit Kollegin Alex (Carice van Houten), die früher selbst eine Beziehung mit dem Verstorbenen hatte, an die Fersen des ISIS-Kämpfers Imran (Eriq Ebouaney). Doch diese Mission ist deutlich schwieriger als gedacht, denn auch der CIA-Agent Joe (Guy Pearce) hängt in der Sache drin.
Die Bilder gleichen sich, sowohl auf dem Bildschirm als auch die im Pressespiegel. Denn wie schon Brian De Palmas vorherige Regiearbeit Passion (2012), war Domino eine schwierige Geburt und wurde von der Kritik bislang äußerst verhalten aufgenommen. Die Gründe für die Reaktionen werden schnell offenbar: Über so etwas wie klassisches Storytelling ist der späte De Palma nämlich längst hinweg. Wie eigentlich alle seine Filme funktioniert auch Domino am besten bzw. eigentlich nur auf einer Metaebene. Wenn etwa die Ehefrau (Paprika Steen) eines Polizisten gleich zu Beginn des Films sagt „Be careful out there“, dann muss man nicht erst die IMDb bemühen, um zu wissen, dass der angesprochene Lars Hansen (Søren Malling) in diesem Film keine tragende Rolle spielen wird.
Schauspieler sind Nebensache
Apropos Rollen: Die Prominenz der Besetzung ist überschaubar, die hinter den Kulissen dafür beachtlich. DoP ist niemand Geringeres als Almodóvars Haus- und Hof-Kameramann José Luis Alcaine, den Score komponierte De Palmas langjähriger Kollaborator Pino Donaggio. Guy Pearce dominiert jede seiner Szenen mit einer natürlichen Autorität, die übrigen Hauptdarsteller*innen, der Däne Nikolaj Coster-Waldau und die Niederländerin Carice van Houten (bekannt aus Paul Verhoevens Black Book), bleiben so blass wie ihre eindimensionalen Figuren mit ihren dünnen, prototypischen Backstories. Das Schöne aber ist: Das tut dem Sehvergnügen überhaupt keinen Abbruch.
Nichts verlernt
Denn wichtig ist nicht, was passiert, sondern wie es vermittelt wird. Der Inhalt ist, wie so oft bei De Palma, ein kleines, scheinbar nebensächliches Detail, das die Geschehnisse ins Rollen bringt. Die Geschichte rumpelt insgesamt etwas behäbig vor sich hin, die einzelnen Sequenzen aber tragen unübersehbar die Handschrift des Filmemachers, der sein Können immer wieder aufblitzen lässt. Wer die Filme des US-Regisseurs – darunter Meilensteine wie Carrie, Dressed to Kill, Scarface, Body Double oder Carlito’s Way – gesehen hat, wird einige der typischen Merkmale eines De Palma-Films schmunzelnd wiedererkennen.
Ungeniertes Foreshadowing bedingt eine erzählerische Informationsvermittlung, die den Zuschauenden stets einen Wissensvorsprung gegenüber den Figuren gewährt. Die überdeutlichen Markierungen von Details weisen ostentativ auf die Konstruiertheit des Plots bzw. des Mediums Film an sich hin. Aufreizend langsame Zooms, Zeitlupen und Parallelmontagen konstituieren De Palmas berühmt-berüchtigte Zeitdehnung, die schon eine schlichte Fahrt im Aufzug, durch geschickt-routinierte Montage (auch hier war mit Bill Pankow ein alter Weggefährte De Palmas am Werk), zum cineastischen Ereignis werden lässt. Insbesondere in der packenden Schlusssequenz, in der De Palma sein Faible für Verfolgungsjagden und Großveranstaltungen auslebt, beweist der Altmeister, dass er absolut nichts verlernt hat.
„The theme is hidden in the style.“
Nun ist aber diese ganze stilistische Spielerei kein Selbstzweck, auch wenn es zunächst so scheinen mag. Die einfallsreichen, auffälligen Einstellungen sprechen vielmehr für sich selbst. So etwa De Palmas signature shot mit einer Großaufnahme im Vordergrund und einer weiteren, ebenfalls gestochen scharfen Figur im Hintergrund: ein quasi-Split-Screen, der den natürlichen Sehgewohnheiten widerspricht. Inhaltlich bewegt sich der Film bald in Richtung einer kruden, religiös-fundamentalistischen Terror-Verschwörung – ein sensibler Themenkomplex, an dem sich De Palma schon mit Redacted (2007) ein wenig verhoben hatte. Doch das Thema Terrorismus ist hier nur ein Vorwand, ist nur die Kulisse für De Palmas eigentliches Anliegen: Es geht um das Sehen und Beobachten und wie wir die Welt wahrnehmen, nämlich immer stärker durch informationstechnologische Hilfsmittel. Das ist De Palmas Lebensthema, das sich in jedem seiner Filme auf die eine oder andere Weise wiederfindet. Und dieses wird eben nicht auf inhaltlicher, sondern auf formeller Ebene verhandelt und zwar die ganze Zeit.
De Palma exerziert sämtliche dieser Hilfmittel filmisch durch: Ferngläser, Kameraobjektive, Überwachungskameras, Drohnen, Smartphone- und YouTube-Interfaces. Oft ergeben sich daraus Bild-im-Bild-Strukturen; Bilder verschiedener Ebenen überlagern sich und gehen ineinander über. Natürlich hat diese Fixierung etwas Fetischistisches, doch ist sie zugleich sehr nah an unser aller Lebensrealität. So behandelt De Palma en passant ein hochaktuelles und -brisantes Thema, nämlich die mediale Präsenz und die globale, virulente Verbreitung von Terrorbildern (Stichwort „Krieg der Bilder“). Das ist noch weit vor der physischen Gewalt selbst der Aspekt, der De Palma vornehmlich am Terrorismus interessiert. Hochgradig selbst- und medienreflexiv liefert der Film damit auch einen Kommentar zur medialen Verfasstheit unserer digitalen Welt. Was es zu bedeuten haben könnte, dass die Terroristin (selbstverständlich weltweit übertragen im Live Stream) ausgerechnet auf dem roten Teppich eines Filmfestivals Amok läuft, darüber möchte man indes eigentlich gar nicht genauer nachdenken.
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