Die siebenjährige Chloe (Lexy Kolker) ist es leid. Nie darf sie nach draußen gehen und mit anderen spielen, einfach mal ein bisschen Spaß haben. Ihr Vater (Emile Hirsch) hat das verboten. Zusammen leben sie in einer kleinen Wohnung, die hermetisch von der Außenwelt abgeschnitten ist und mit Dutzenden von Schlössern verriegelt. Außerdem muss sie ständig irgendwelche Sachen auswendig lernen, die sie sagen soll, falls doch mal jemand mit ihr spricht. Was das soll, weiß sie selbst nicht so genau. Eines weiß sie dafür: Sie hätte auch gern ein Eis. Als mal wieder der Eisverkäufer Mr. Snowcone (Bruce Dern) vor der Tür steht, nimmt sie all ihren Mut zusammen und geht entgegen der Anweisungen ihres Vaters allein aus dem Haus – ohne zu ahnen, was sie damit in Gang setzen wird …
Freaks ist einer dieser Filme, die man nur schwer besprechen kann, ohne dabei wichtige Teile der Geschichte vorwegzunehmen. Nun kann man sich über Sinn und Unsinn von solchen Spoilern in Kritikern ohnehin immer streiten. In diesem Fall wäre es aber besonders schade, vorab zu viel zu verraten. Nicht weil die Geschichte, die sich das Regie- und Drehbuchduo Zach Lipovsky und Adam B. Stein ausgedacht hat, so wahnsinnig originell wäre. Filmisches Vergleichsmaterial gibt es da schon einiges. Der Reiz ihres Werks liegt aber auch zu einem großen Teil darin, wie sich die einzelnen Puzzleteile nach und nach zusammensetzen.
Eine Wohnung voller Fragen
Dass der Weg das Ziel ist, daran lassen Lipovsky und Stein auch keinen Zweifel. Von Anfang an setzen die beiden auf eine betont mysteriöse Stimmung, die das Publikum rätseln lasst: Was zum Teufel wird hier eigentlich gespielt? Die Wohnung ist dunkel, schäbig, heruntergekommen, sieht so aus, als würde schon seit Ewigkeiten niemand mehr darin leben. Und doch verlassen der Vater und seine Tochter sie nicht. Zumindest Chloe hat sie wohl auch nie verlassen, weshalb sie selbst mit den alltäglichsten Begriffen nicht wirklich etwas anfangen kann. Aber sie fügt sich, wohl auch weil ihrem Vater das sehr ernst ist. Angst hat er, das wird deutlich. Aber weshalb? Und vor wem?
Das würde teilweise als Sozialdrama durchgehen: Eine verwahrloste Familie, verbunden mit Paranoia. Wären da nicht die eigenartigen Erlebnisse von Chloe. Wie eigenartig diese sind, werden ihr aber gar nicht bewusst, da – das ist einer der Clous von Freaks – der Film nahezu ausschließlich aus ihrer Perspektive erzählt wird. Das Publikum merkt aber schon, dass da etwas nicht stimmt. Dass diese eigenartigen Visionen etwas zu bedeuten haben. Dafür sorgen auch schon die seltsam verfremdeten Bilder und das makellose Sound Design, die dazu beitragen, dass man sich schon vom bloßen Zuschauern her wie ein Gefangener fühlt. Umso mehr, da ein Großteil der Handlung nur in dieser Wohnung stattfindet, die zwar rein flächenmäßig überschaubar, gleichzeitig aber verwirrend ist.
Starke Bekannte und eine Entdeckung
Trotz des begrenzten Schauplatzes: Langweilig wird das nicht. Freaks, das auf dem Toronto International Film Festival 2018 Premiere hatte und im Rahmen des Fantasy Filmfest 2019 auch nach Deutschland kommt, punktet nämlich mit einer erstklassigen Besetzung. Emile Hirsch (The Autopsy of Jane Doe) überzeugt als liebender und gleichzeitig durchgeknallter Vater, Bruce Dern (Nebraska) ist eine Idealbesetzung für die Rolle des zunächst undurchsichtigen, unheimlichen Mr. Snowcone. Vor allem aber Lexy Kolker begeistert durch ihre lebendige Präsenz als Mädchen, das sich einfach nur nach einem normalen Leben sehnt, selbst wenn sie nicht durchschaut, was ein solches normales Leben alles beinhaltet.
Ist erst einmal die Katze aus dem Sack und etabliert, worum es überhaupt geht, steuert Freaks auf eine doch spürbar konventionellere Richtung hin. Das ist natürlich etwas schade, ebenso dass die gut gemeinten Plädoyers für Akzeptanz ein bisschen grober ausgefallen sind. Denn eigentlich war es zuvor schön, wie sich einiges nur durch Randdetails zeigte. Doch das schmälert den überaus positiven Gesamteindruck nicht mehr entscheidend. Zumal der Film an Stelle des Bizarren das Emotionale rückt: Begleitet von überraschend gelungenen Spezialeffekten und ausreichend Nervenkitzel erzählen Lipovsky und Stein, wie weit Menschen gehen, um die zu schützen, die sie lieben. Das rüttelt natürlich ein bisschen an den Herzen des Publikums, wird auch durchaus tragisch und effektiv – wenn man über die leicht manipulative Note hinwegsehen kann.
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