Golden Twenties
© 2019 Twentieth Century Fox

Golden Twenties

Golden Twenties
„Golden Twenties“ // Deutschland-Start: 29. August 2019 (Kino)

Ihr Studium hat sie erfolgreich abgeschlossen, jetzt müsste für Ava (Henriette Confurius) doch so langsam mal das richtige Leben anfangen. Dachte sie. Doch irgendwie will das mit der Jobsuche so gar nicht klappen. Also heißt es erst einmal wieder zurück in ihr altes Zuhause und wieder bei Mama Mavie (Inga Busch) wohnen. Immerhin, eine Hospitanz beim Theater hat sie gefunden. Dafür gibt es zwar kein Geld, außerdem muss sie dauernd irgendwelche doofen Arbeiten für die Regieassistentin Franzi (Franziska Machens) vollrichten – von den Launen des Regisseurs ganz zu schweigen. Aber das ist immer noch besser, als nur noch daheim zu hocken. Außerdem gibt es dort ja auch den süßen Schauspieler Jonas (Max Krause), der ein Auge auf sie geworfen zu haben scheint …

Die jungen Menschen von heute haben so viele Möglichkeiten wie keine Generation vor ihnen, die Türen zu der ganzen Welt stehen ihnen hoffen! Heißt es. Schaut man sich diese jedoch etwas genauer an, handelt es sich oft dann doch nur um welche, die auf die Fassade gemalt wurden, ohne dass ein Weg hindurch führte. Golden Twenties zeigt dies schon zu Beginn sehr deutlich, wenn Ava nicht einmal ein Praktikum bekommt, weil sie ja schon fertig ist mit dem Studium. Ohne ein Praktikum gibt es aber keine Arbeit. Und wer keine Arbeitserfahrung hat, der findet auch keine andere Arbeit. „Kommen Sie doch wieder, wenn Sie Erfahrungen gesammelt“ haben, muss sie sich anhören, um den Hohn noch ein wenig stärker zu machen.

Chaos in allen Lebenslagen
Golden Twenties ist jedoch nicht allein ein Film über die beruflichen Schwierigkeiten der berüchtigten Generation Praktikum. Vielmehr zeigt Regisseurin und Drehbuchautorin Sophie Kluge in ihrem Spielfilmdebüt, wie furchtbar kompliziert die Welt für einen Menschen in den 20ern sein kann. So gar nicht golden. Das kann sich auch auf das Private beziehen. Ob es nun ihre Familie ist, die schon sehr lange kaputt ist, oder die sich anbahnende Romanze mit Jonas: Irgendwas ist da immer. Und es geht nicht nur ihr so, anhand ihrer besten Freundin Lulu (Hanna Hilsdorf) demonstriert Kluge, dass viele nicht so richtig in ihrem Leben angekommen sind, so sehr sie sich auch bemühen und nach passender Inneneinrichtung suchen.

Tatsächlich gleicht bei Kluge die gesamte Welt einem Irrenhaus. Denn jeder, der in ihrem Film auftaucht, hat irgendwelche Macken, tut etwas Komisches, sagt etwas Komisches. Ihre Mutter, die seltsame Phobien entwickelt, deren junger Freund (Reinout Scholten van Aschat), aus dem man nicht schlau wird. Und das Theaterumfeld ist ohnehin ein einziger Brutplatz von Neurosen. An diesen Stellen erinnert Golden Twenties auch schon mal an Casting, das ebenfalls auf vergnügliche Weise die übergroßen Egos innerhalb der Künstlerszene zusammenstutzte, wenn jeder tut, was er will, keiner jedoch so richtig Ahnung zu haben scheint, wie das denn funktionieren soll.

Stolpersteine auf Schritt und Tritt
Vieles funktioniert hier dann auch nicht, sei es im Zwischenmenschlichen oder in anderer Hinsicht. Sophie, die Tochter des Regisseurs Alexander Kluge (Happy Lamento), baut eine Vielzahl von Irritationen ein, die mal auf die Protagonist*innen abzielen, mal auf das Publikum, mal auf beides. Schlüssel, die nicht mehr passen. Kisten, die im Weg herumstehen. Beziehungen, die sich von einer Szene zur nächsten verändern, ohne dass man wüsste warum. Manchmal meint man gar, dass Kluge die Leute auf den Kinosälen verärgern will, wenn sie wichtige Informationen vorenthält. Fehlen diese in Filmen und damit sinnvolle Übergänge, dann ist das oft ein Zeichen von schlampiger Arbeit. Golden Twenties tut dies aber auf eine so konsequente und gleichzeitig beiläufige Weise, dass der Film einen ganz eigenen Reiz entwickelt. Eben weil hier vieles nicht so wirklich verständlich ist, drückt die Tragikomödie die Lebenssituation der Orientierungslosen besonders einfühlsam aus.

Golden Twenties, das auf dem Filmfest München 2019 Weltpremiere feierte, dürfte damit vielen Menschen von der Seele sprechen, die nicht so recht wissen, was sie hier eigentlich sollen. Doch trotz der großen Universalität des Films, für die Massen ist das nicht wirklich geeignet. Die leise Romanze zwischen Ava und Jonas ist rührend und doch frustrierend. Der Film schwankt auch von grotesken, humorvollen zu traurigen, nachdenklichen Szenen, gibt dem Publikum aber selbst dann nicht die Möglichkeit, sich mal richtig auszuheulen. Ein Film, der immer kurz davor ist, irgendwo anzukommen, nur um dann doch zu verschwinden. Kann mag mögen oder auch nicht. So oder so: Kluge ist ein bemerkenswertes Debüt geglückt, das sich wohltuend von dem deutschen Einheitskino abhebt, obwohl es viel näher am Leben dran ist als ein Großteil der Konkurrenz. Außerdem darf sich Henriette Confurius (Das kalte Herz) mit ihrer versöhnlichen Darstellung der Getriebenen, für die nirgends Platz ist, für weitere Hauptrollen empfehlen.



(Anzeige)

Das Studium ist rum … und jetzt? In „Golden Twenties“ stolpert eine junge Frau durchs Leben, findet aber weder beruflich noch privat Halt. Das ist mal komisch, mal traurig, sehr lebensnah und doch auch skurril – auch weil Regiedebütantin Sophie Kluge immer mal wieder interessante Irritationen einbaut, über die alle stolpern dürfen.
7
von 10