Viele Jahre hat Felix (Louis Hofmann) seinen Vater (Oliver Masucci) nicht mehr gesehen. Zehn Jahre waren es genauer, seit der hässlichen Trennung seiner Eltern. Jetzt ist Felix 16 und seine Mutter tot. Auf der Beerdigung haben sie sich erstmals wiedergesehen, nun steht ein gemeinsamer Abenteuerurlaub an – auf Wunsch des Vaters, der sich auf diese Weise eine Annäherung erhofft. Doch das will alles nicht so recht funktionieren, ständig geht etwas schief. Und eigentlich hat Felix auch überhaupt keine Lust auf das Ganze und weiß nichts mit dem Mann anzufangen, der da plötzlich vor ihm steht.
Ein gemeinsamer Urlaub kann richtig viel Stress bedeuten: Tagelang aufeinander zu hocken, ohne Rückzugsmöglichkeit, das hält nicht jeder aus. Umgekehrt kann eine solche Situation die Menschen aber auch zusammenschweißen. Zumindest Filmemacher sind davon überzeugt, wenn sie in regelmäßigen Abständen entfremdete Familienmitglieder auf einen gemeinsamen Roadtrip schicken, an dessen Ende sie sich wiedergefunden haben. In Helle Nächte reisen ein Vater und ein Sohn, die sich nicht mehr viel zu sagen haben, gemeinsam nach Norwegen. In Kodachrome unternimmt ein solches Gespann einen Trip quer durch die USA. Das vordergründige Ziel: ein Fotolabor besuchen. Doch eigentlich ging es dabei um eine Aussöhnung und Annäherung.
Sag doch mal was!
Rick Ostermann verfolgt in Lysis eine ganz ähnliche Absicht. Wie bei den beiden obigen Kollegen sind es hier ein Vater und ein Sohn, die keinen echten Kontakt mehr hatten, was sich aber auf Drängen des Vaters ändern soll. Auch wenn der dabei sehr unbeholfen vorgeht. Rein inhaltlich gesehen bewegt sich das Drama damit auf recht ausgetretenen Pfaden. Die grundsätzliche Situation ist altbekannt, auch bei den Figuren gibt es nicht viel Neues. Wobei man sich auch darüber streiten könnte, ob die beiden überhaupt als Figuren durchgehen. Über die jeweilige Persönlichkeit erfahren wir nicht so viel, der Vater erhält nicht einmal einen Namen. Sie definieren sich allein durch das Verhältnis zueinander oder eben das nicht vorhandene Verhältnis.
Das hört sich nicht sehr einladend an, nach einem schwachen und einfallslosen Drehbuch. Doch damit würde man Lysis, das unter anderem beim Max Ophüls Preis 2019 lief, nicht gerecht werden. Tatsächlich arbeiteten Regisseur und Drehbuchautor Ostermann und sein Team mit einem nur rudimentären Skript, das lediglich grobe Vorgabe sein sollte. Der Rest wurde den Darstellern überlassen, die sich inmitten der Wildnis etwas einfallen lassen und improvisieren sollten. Wildnis ist hier dann auch durchaus wörtlich zu verstehen, denn bei diesem Roadtrip mag es vieles geben, eines aber nicht: Straßen. Stattdessen schlagen sich Vater und Sohn durch Wälder, überqueren Flüsse, sind ebenso mit ihrer Umgebung wie dem Reparieren ihres Verhältnisses beschäftigt.
Ein wilder Mix
Lysis ist deshalb auch nur zum Teil mit den thematisch ähnlichen Filmen oben zu vergleichen. Stattdessen ist es so, als hätte man deren Inhalt mit deutschen Improfilmen wie Love Steaks oder Silvi gekreuzt, mit etwas Survival-Abenteuer vermengt und das Ganze mit einem kräftigen Schuss The Blair Witch Project übergossen. Traditionelle Kameraaufnahmen gibt es nicht. Stattdessen sind die beiden Protagonisten wie einst bei der Found-Footage-Welle mit Kamera unterwegs, hier die GoPro-Variante, und halten damit alles fest, von den spannenden Auseinandersetzung bis zum schweigenden Umherwandern. Manchmal könnte man hier dann auch tatsächlich meinen, dass irgendwelche Monster sich in den undurchsichtigen Wäldern herumtreiben und auf ihre Opfer warten. Doch die schlimmsten Monster, so wird irgendwann klar, das sind dann doch die Menschen.
Ein solcher Film ist quasi von Natur aus ein wenig schwieriger zu verkaufen, weshalb sich trotz prominenter Besetzung noch kein hiesiger Kinoverleih dafür gefunden hat. Dabei hat er durchaus seine Qualitäten. Die rohen, ungeschliffenen Dialoge von Masucci und Hofmann, die beide dank Dark auch international bekannter geworden sind, treffen sich mit den holprigen Kameraaufnahmen zu einem ganz eigenen Trip. Dann und wann torpediert der Film seine eigene Authentizität, etwa durch die übertrieben dramatische Vorgeschichte und die aufgesetzten Monologe, die mehr nach Theater als nach Wildnis aussehen. Doch es gibt eben auch genügend Momente, die aus den Bedingungen jede Menge herausholen, die von einer rohen Kraft geprägt sind, von unter der Oberfläche brodelnden Gefühlen, für die niemand die passende Worte findet. Zudem muss man Lysis anrechnen, dass der Film auf die üblichen Streicheleinheiten und Wohlfühlkitsch verzichtet, der am Ende solcher Trips oft auf das Publikum wartet.
(Anzeige)