Der 17-jährige Jakob (Simon Frühwirth) lebt etwas zurückgezogen zusammen mit seinem Vater und Opa in Wien, leidet unter unerklärlichen Angstattacken, das schiere Gefühl der Machtlosigkeit und Taubheit scheint ein allgegenwärtiger Begleiter. Um sich dem zu entziehen, sucht er im Netz nach Zugehörigkeit in einem Schwulenchat. Eines Abends trifft er dort auf den charismatischen älteren Kristjan (Paul Forman). Beide entwickeln neugieriges Interesse aneinander, und als sie sich später wie zufällig in der U-Bahn wieder begegnen, wollen die beiden sich unbedingt weiter kennenlernen. Derweil versucht Jakob, seiner Angst mittels Therapie Herr zu werden, was jedoch von seinem Vater (Josef Hader) nur desinteressiert und ungläubig abgetan wird. Als eines Abends sein Opa plötzlich verstirbt, wird das darauffolgende Treffen mit Kristjan zu einer Konfrontation der Seele, der Jakob nicht glaubt standhalten zu können. Sein Angst sitzt im sprichwörtlich im Nacken.
Ein Film über Angststörungen und Panickattacken? Gregor Schmidinger (Kurzfilme The Boy next Door / Homophobia) stellt sich der Herausforderung und erschafft mit Nevrland ein Porträt einer Erkrankung, die bis heute lieber verschwiegen und tabuisiert wird. Da der Regisseur selbst betroffen ist, lag es für ihn nahe, diese Erfahrung thematisch in seinem ersten Langfilm aufzuarbeiten und für den Zuschauer erfahrbar zu machen, was es bedeutet von Angst gefangen zu sein und gelähmt zu werden.
Angst ohne Grenzen
Mit seinem Hauptdarsteller Simon Frühwirth, der mit Nevrland ebenfalls sein Leinwanddebüt feiert, ist ihm ein absoluter Glücksgriff gelungen. Die Rolle des Jakob, der seine Angst hinter sich spürt, immer wieder von ihr heimgesucht wird und dabei aber noch nicht rausgefunden hat, wovor er sich eigentlich fürchtet, spielt Frühwirth herausragend. Die Verletzlichkeit, die Verunsicherung und gleichzeitig aber die Bestimmtheit zu wissen, wonach er in der Liebe sucht, gestaltet sich oft als scharfer Balanceakt, den Schmidinger mit starken Bildern einzufangen weiß. Gerade in den Momenten, in denen sich Jakob in die virtuelle oder Gedankenwelt flüchtet, spielt der Regisseur mit verschiedenen Ebenen, sodass nicht nur Jakob nicht mehr weiß, was real ist und was nicht.
Zuweilen scheint sich der Film auch dem Horrorgenre zu bedienen, wenn die Angst zunächst als sich bewegendes unscharfes Wabern auf Jakob zugeht, dann aber allmählich die Form seines kindlichen Ichs annimmt. Und das wirft die große Frage auf, ist es er selbst, vor dem er sich fürchtet? Vor dem, was er war, aber nicht mehr repräsentiert, was aber vielleicht noch alle anderen in ihm sehen? Ist es doch Zukunftsangst, die Angst davor erwachsen zu werden, sich selbst akzeptieren zu müssen und mit der eigenen Sexualität nicht dem Allgemeinbild zu entsprechen?
Im Rausch der Sinne
Später als er Kristjan kennenlernt, steht ihm die Angst ebenfalls im Weg und scheint geisterhafte Formen anzunehmen. Das Gefühl, dass sich Seele und Körper bei Angstattacken von einander zu trennen scheinen, wird erstaunlich greifbar für den Zuschauer dargestellt, erfordert aber etwas Aufmerksamkeit, um im Nachhinein der Mischung von Realität und Fiktion folgen zu können. Und wenn dann ein Clubbesuch und dröhnende Technobässe zu einem Selbstfindungstrip werden, gelingt Schmidinger ein visueller Geniestreich, indem er dort zeigt, was es heißt sich seiner Angst zu stellen, zu verstehen, was bei den Attacken passiert, aber auch was es heißt, sich davon zu befreien und daran zu wachsen. Was aber ursächlich für Jakobs Ängste ist, bleibt für den Zuschauer unerklärt und lässt Raum für eigne Interpretation.
Ähnlich wie 2015 in Der Nachtmahr wird die Bedeutung von mentaler Gesundheit veranschaulicht und was es heißt, wenn einen dabei niemand zu verstehen scheint. Mit grellen Farben, Techno als Kanalisation zur Rückfindung der Seele in den Körper und wunderschön komponierten Bildern, vor denen trotzdem ganz am Anfang sensible Personen gewarnt werden, gelingt Schmidinger ein Film, dessen Trip bereits bei der ersten Sichtung eine unglaubliche Kraft ausstrahlt und zunehmend an Stärke gewinnt.
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