Der Titel hört sich eigentlich nett an. The Family, das klingt nach gemeinsamen Abendessen, Zusammenhalt, Zuneigung, ein Band, das selbst dann noch hält, wenn die Welt um einen herum auseinanderbricht. Um einen Zusammenhalt geht es auch bei der Gruppierung, die in der Netflix-Doku angesprochen wird. Ausschlaggebend ist hier jedoch keine Blutsverwandtschaft, sondern eine Gemeinsamkeit des Glaubens. Vor allem auch einer Gemeinsamkeit der Absichten: Die Menschen, die Teil dieser Familie sind, haben es sich zur Aufgabe gemacht, in den USA und anderswo ihre religiösen Überzeugungen in politische Taten umzuwandeln.
Nun sind wir es aus westlichen Ländern eigentlich gewohnt, dass Religion und Politik unabhängig voneinander arbeiten, keiner sich etwas von dem anderen vorschreiben lassen will. Aber in den USA ist das noch ein wenig anders. Wer sich dort offen gegen den Glauben positioniert oder nicht genug mitnimmt, der darf sich in der ländlichen Region auf einiges gefasst machen. Aber auch, wer in irgendeiner Form anders ist und nicht dem Ideal entspricht, das die evangelikalen Kräfte propagieren, wird schnell zur Zielscheibe – im übertragenen wie im wörtlichen Sinn.
Religiöser Führungsanspruch
The Family widmet sich hier einer ganz speziellen Organisation zu, der besagten Familie. Die wurde bereits 1935 von einem Wanderprediger gegründet und setzte sich früh zum Ziel, aktiv ins Geschehen einzugreifen und die Welt mitzuprägen, ohne dabei jedoch zu sehr selbst in Erscheinung zu treten. Bis heute scheuen die Verantwortlichen das grelle Rampenlicht, wollen lieber ein wenig in den Hinterzimmern wirken. Anders als aber etwa offen kriminelle Vereinigungen wie die Mafia geschieht das hier nicht, weil man sich eigener Verwerfungen bewusst ist und diese verstecken will. Sie wollen nur lieber ihre Taten für sich sprechen lassen.
Einer der schockierenden Aspekte von The Family ist dann auch, wenn die Geisteshaltung der Organisation offen gezeigt wird. Die Menschen sollen alle gleich sein? Nicht für die Anhänger hier. Sie fühlen sich als Auserwählte Gottes und haben damit ein höheres Stimmrecht als die anderen. Sie wissen es einfach besser, glauben das zumindest. Selbst wenn die Mitglieder irgendwann einmal etwas Schlechtes tun sollten, der Glaube allein bewahrt sie davor, dadurch ein schlechter Mensch zu sein. Das Motto: Wir sind die Guten. Und damit ist alles gut, was wir tun, selbst wenn es das nicht ist.
Harmlose Spinner oder wirklich böse?
Diesen bizarren Anspruch haben andere natürlich auch, sei es im religiösen oder auch nicht-religiösen Umfeld. Das Gefühl, dass man selbst über anderen steht und nicht den Regeln anderer zu gehorchen hat, das pflegen viele. Tatsächlich gibt sich The Family zwar viel Mühe, die Gefahr herauszuarbeiten, die von der Organisation ausgeht, mit viel ominösen Verschwörungsbildern. Es ist jedoch eher selten, dass die Mitglieder tatsächlich wie Bösewichter erscheinen. Der Einsatz für die Homosexuellenverfolgung in Uganda ist eines dieser abscheulichen Beispiele. Ansonsten wird bei der Dokumentation aber nicht ganz klar, wie groß der Einfluss nun wirklich ist, ob der Anspruch des göttlichen Wirkens tatsächlich Auswirkungen hat.
Andererseits: Gerade das Schwammige ist immer ein guter Nährboden für Verschwörungstheorien. Da The Family auch eine Reihe suspekter bis widerlicher Menschen gefunden hat, die dem Dunstkreis der Fundamentalisten entstammen, darf hemmungslos spekuliert werden, wie viel von dem Alltag in den USA von diesen Leuten bestimmt wird. Dafür ist die fünfteilige Serie sauber gemacht, kombiniert Interviews mit historischen Aufnahmen und nachgestellten Szenen. Das ist zwischendrin etwas zäh, wenn umfassend, aber auch ausufernd über viele Menschen geredet wird, die in der Sache drinhängen. Als Einblick in eine fremde, etwas unheimliche Welt erfüllt die Dokumentation aber ihren Zweck.
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