Der 12-jährige Tom kann seinen Augen kaum trauen, als er den Strand entlangläuft: Ein alter Affe liegt dort, verletzt und verloren, in seltsame Kleidung gehüllt. Aus einem anderen Land muss er kommen, davon ist er überzeugt. Warum sonst sollte er eine fremde Sprache sprechen? Aber eigentlich kann das nicht sein, denn das Volk von Tom ist doch das einzige, das es gibt. Seine Familie beschließt, den Fremden erst einmal bei sich aufzunehmen und genauer zu untersuchen. Denn sie war schon immer davon überzeugt, dass es noch andere Affen-Zivilisationen gibt. Bislang wollte ihnen niemand glauben, ausgelacht hat man sie sogar! Doch das soll sich bald ändern …
Jean-François Laguionie gehört sicher zu den renommiertesten Animationsregisseuren Frankreichs. Nicht aber zu den erfolgreichsten. In seiner Heimat waren die Besucherzahlen seiner Filme überschaubar, in Deutschland erschienen sie zu einem Großteil erst gar nicht. Aber auch der eher geringe Output dürfte dazu beigetragen, dass er nie den Namen hatte, den er verdient hätte. Lange beschränkte er sich auf Kurzfilme, was zwar schöne Preise bringt, aber nicht unbedingt den großen Zaster. Erst mit 46 gab er sein Spielfilmdebüt, dem surrealen Abenteuer Gwen et le livre de sable. 2019 folgte mit The Prince’s Voyage gerade mal der Langfilm Nummer sechs. Wer nicht gerade ein großer Fan ist, dürfte deshalb kaum mitbekommen, dass da was Neues vorliegt.
Ein guter alter Bekannter
Und das ist sehr schade, da seine Filme doch sehr aus der Animationsmasse herausstechen, die uns in den Kinos wieder und wieder vorgesetzt wird. Viele davon sind zwar für eine jüngere Zielgruppe gedacht, haben dabei aber deutlich mehr zu erzählen als die 08/15-CGI-Blockbuster, die in erster Linie mit Slapstick das Publikum unterhalten wollen. Da ist The Prince’s Voyage, das auf dem Annecy Animationsfestival 2019 gezeigt wurde, keine Ausnahme. Zwar hat sich Laguionie dieses Mal den Regiestuhl mit seinem Kollegen Xavier Picard (Mumins an der Riviera) geteilt. Dem Ergebnis merkt man dies jedoch nicht an, nennenswerte Einflüsse sind hier nicht zu finden.
Vielmehr erinnert The Prince’s Voyage an zwei frühere Werke des Altmeisters. In Kwon und der König der Affen erzählte er schon einmal von rivalisierenden Affenstämmen. Tatsächlich stellt der neue Film auch eine Art späte Fortsetzung dar, selbst wenn die Bezüge gering sind. The Painting wiederum behandelte bereits das Thema Unterdrückung von andersartigen Personen. Damals waren es Figuren eines Gemäldes, die nicht fertig koloriert waren und deshalb nur Bildbürger zweiter Klasse waren. Ganz so schlimm ergeht es dem aus einem fremden Land stammenden Fürsten zwar nicht. Aber er muss sich doch mit Vorurteilen auseinandersetzen, die ihm entgegengebracht werden.
Zwischen zwei Welten
Neu ist hingegen das Setting, in dem er sich bewegt. Die Geschichte spielt zwar auch in einem Dschungel, der aber mit Steampunk-Anleihen angereichert ist, mit großen Laboren, Trams und Häusern, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen. Das passt natürlich nicht so ganz zusammen, soll es aber auch nicht. Neben dem Thema der Fremdenfeindlichkeit behandelt The Prince’s Voyage auch eine Entfremdung von der Natur. Die Affen haben verlernt, mit ihrer Umwelt zu leben. Sie sehen sie eher als einen Feind an. Das gibt dem Film trotz seiner Fremdartigkeit und einem leicht altmodischen Zauber etwas sehr Aktuelles und Relevantes: In einer Zeit, in der ein Kampf gegen den Klimawandel plötzlich wieder en vogue ist, passt ein solches Öko-Abenteuer wunderbar zum Zeitgeist.
Es wäre dem ruhigen und nachdenklichen Film zu wünschen, dass er davon auch profitieren kann. Zumal auch die Umsetzung einiges her macht. Wie schon in seinen letzten Werken verwendet Laguionie eine Computer-Optik, die sich stärker am klassischen Zeichentrick orientiert als an den gängigen Hits. Realistisches trifft hier auf surreale Elemente, es ist alles aus einem Guss und doch irgendwie anders. Vor allem ein kleiner Ausflug in die Stadt, die in der Nähe von Toms Anwesen ist, ist dabei ein echter Höhepunkt. Auch wenn The Prince’s Voyage sich stärker an Vorherigem orientiert und deshalb nicht ganz so einzigartig ist wie andere Werke des Filmemachers, Spielfilm Nummer sechs ist ein würdiger Neuzugang in seinem Gesamtwerk. Übrigens, Film Nummer sieben mit dem vorläufigen Titel Slocum ist bereits in Arbeit und soll 2020 erscheinen.
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