Geschichten über die Läuterung eines Sünders hin zum Mythos des Self-Made-Man gehören zu den großen US-amerikanischen Erzählungen. Gerade in der heutigen Zeit, in der Politiker des Landes durch die einzelnen Staaten touren, wird innerhalb der politischen Rhetorik des Präsidenten und seiner Gegner eben jene großen Narrative des amerikanischen Volkes gepflegt. Der Amerikanische Traum, dieses unendliche, schier unerreichbare Epos eines Landes, findet sich in „Make America great again“ und anderen Slogans wieder, doch wie viel davon Realität ist (oder wird), darüber darf man streiten und diskutieren.
Im nunmehr dritten Teil seiner Trilogie über die USA widmet sich der deutsche Regisseur Rainer Komers eben jenem Mythos des Amerikanischen Traums und blickt dabei auf die Poesie von Stanley Russell ‚Spoon‘ Jackson. Nach Nome Road System (2004) und Milltown, Montana (2009) setzt sich Komers abermals mit den Realitäten der USA auseinander, mit Lebensgeschichten sowie den Landschaften dieses Landes, welche zum einen der Stoff vieler Mythen sind, aber meist eine ganz andere Wirklichkeit offenbaren.
Fragmente eines Lebens
Im Fokus von Barstow, California steht, wie erwähnt, die Biografie ‚Spoon‘ Jacksons, der seit 1978 eine lebenslange Freiheitsstrafe absitzt ohne die Möglichkeit einer Bewährung. Während seiner Strafe fand Jackson zur Literatur und ist ein mehrfach ausgezeichneter Autor und Dichter, der vor allem sein eigenes Leben in seinen Werken verarbeitet. Während Komers’ Kamera durch die Straßen Barstows zieht, der Heimatstadt Jacksons, die Geografie des Ortes auskundschaftet sowie Wegbegleitern und Verwandten Jacksons begegnet, werden per Voiceover immer wieder Fragmente aus Jacksons Autobiografie By Heart: Poetry, Prison and Two Lives vorgetragen.
Immer wieder wechselt das Bild in die Mojave-Wüste, die an Barstow grenzt, jene weiten Felder rot-braunen Sands, von riesigen Felsformationen durchzogen. Wo einst ein reißender Fluss war, findet man nun eine ausgetrocknete Landschaft vor, durch die Komers mit zwei von Spoon Jacksons Brüdern zieht, während diese von ihrer Kindheit berichten. Man merkt, hier werden Grenzen abgeschritten, Pfade, welche sich durch ein Leben in dieser Stadt ziehen, eine Existenz, die neben dieser endlosen Weite bisweilen eingrenzend wirkt. Wie zur Betonung ertönt die Stimme ‚Spoon‘ Jacksons, der von dem einzigen Ausweg spricht, nämlich dem „nach oben“ zu schauen, zu den Sternen.
Erinnerungen an eine verlorene Vergangenheit
Die Geschichten und Menschen, die Komers Film begleiten, erzählen von einem Amerika des Gestern, einer unwiederbringlichen Version, welche teils Gefühle der Nostalgie, teils der Reue und Schuld, aber auch des kleinen Glücks evoziert. Scheinbar sind die Worte und Geschichten, die Poesie eine Art Schutz vor der Wüste, die längst schon nicht mehr rein geografisch ist, sondern Komers fast schon metaphorisch begreift. In den post-industriellen Ruinen und dem Rattern der Güterzüge meint man zu hören, wie die Zeit an einem Ort wie Barstow vorbeizieht, zu einer jener Geschichten wird, die man sich erzählt oder von denen Jackson in seinen Texten schreibt.
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