Seit einigen Jahren schon wird heftig diskutiert, wer denn nun die wahren Nachfolger von Studio Ghibli sein werden. Das Ende des legendären Anime-Studios wurde zwar inzwischen wieder etwas hinausgezögert, nachdem Altmeister Hayao Miyazaki nun doch wieder einen Film dreht. Über kurz oder lang werden sich die Fans aber auf einen Abschied einstellen müssen, umso mehr, da Mitbegründer Isao Takahata im April 2018 verstorben ist. Die naheliegendsten Erben haben sich bei Studio Ponoc zusammengeschlossen. Nicht nur dass Hiromasa Yonebayashi bei zwei Ghibli-Filmen Regie führte (Arrietty – Die wundersame Welt der Borger, Erinnerungen an Marnie). Die Werke des neuen Studios sehen auch noch genauso aus wie die der Vorbilder.
Wobei der Output bislang noch überschaubar ist. Nach dem ersten Spielfilm Mary und die Blume der Hexen, der in Japan ganz ordentliche Erfolge vorweisen konnte, entschied man sich bei der zweiten Produktion für einen bescheideneren Rahmen – vielleicht auch, weil andere Ghibli-Veteranen gerade unter Miyazaki schuften. Bescheidene Helden: Ponoc Short Films Theatre, das hierzulande über Netflix erschien, versammelt drei sehr unterschiedliche Kurzfilme zwischen 13 und 18 Minuten Länge, mit denen sich die Mitarbeiter erst einmal die Zeit vertreiben und teilweise erste Regieerfahrung sammeln konnten.
Klassischer Auftakt
Der Auftakt stammt von Yonebayashi selbst – und ist ausgerechnet der schwächste der drei Filme. Dabei ist Kanini & Kanino noch der Kurzfilm, der am stärksten in der Tradition von Studio Ghibli steht. Erzählt wird darin die Geschichte von winzigen Menschen, die im Wasser leben. Eines Tages, während die schwangere Mutter fort ist, um Kinder zu gebären, wird der Vater von einer Strömung erfasst und fortgerissen. Daraufhin machen sich die beiden verbliebenen Geschwister auf die Suche nach ihm und müssen dabei diverse Abenteuer überstehen. Der weitestgehend wortlose Kurzfilm sieht beeindruckend aus mit den Unterwasseraufnahmen, ist inhaltlich jedoch recht dünn.
Life Ain’t Gonna Lose von Yoshiyuki Momose ist der einzige der drei Titel von Bescheidene Helden, der eine aus dem realen Leben entnommene Geschichte aufnimmt. Die Thematik ist dennoch ungewöhnlich: Allergien. Genauer ist es ein kleiner Junge, der an einer gefährlichen Eier-Allergie leidet und der daher auf vieles verzichten muss. Auch das ist auf Dauer etwas wenig, dafür aber schön anzusehen, gerade zum Ende hin, wenn die Optik ein wenig experimenteller wird. Und auch die Beziehung zwischen der Mutter und dem Sohn ist ganz rührend, wenn sie alles für ihn tut und dabei ein wenig an ihre Grenzen gerät.
Ist da wer?
Der beste Film kommt zum Schluss: In Invisible „zeigt“ uns Akihiko Yamashita einen ganz normalen Büroangestellten, der aus nicht näher erläuterten Gründen unsichtbar ist und zudem einen schweren Gegenstand tragen muss, um nicht davongetragen zu werden. Klingt komisch, ist es teilweise auch, und doch ein pointierter Film über all die Leute, die durchs Leben gehen, ohne überhaupt von anderen wahrgenommen zu werden. Der Mini ist ebenfalls visuell sehr gelungen, besonders bei den Wassereffekten auf modernstem Stand und hat doch eine leichte Retro-Anmutung. Er hätte auch durchaus auf einer der Anime-Anthologien erscheinen können, die in den 80ern und 90ern so populär waren.
Mit den besten kann es Bescheidene Helden zwar nicht aufnehmen, etwa Memories. Aufgrund der kurzen Laufzeit von gerade mal 53 Minuten schauen hier aber nicht nur Anime-Fans rein. Als Zwischenarbeit von Studio Ponoc sind die drei Titel allemal sehenswert, allein schon der Optik wegen, machen neugierig, wie es mit den Animationskünstlern in Zukunft weitergehen mag. Kanini & Kanino könnte man sich beispielsweise als Szenario für einen ausgewachsenen Spielfilm durchaus vorstellen. Es bräuchte nur jemanden, der auch tatsächlich packende Geschichten schreiben kann, die der Bilder und natürlich des reichen Erbes würdig sind.
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