Richtig groß ist die Begeisterung von Akane ja nicht, als sie ihr Geburtstagsgeschenk bei Chii abholen soll. Nicht weil sie grundsätzlich etwas gegen Geschenke einzuwenden hätte. Die mag sie schon. Bei Chii ist sie sich da nicht ganz so sicher, da die mindestens ebenso kurios ist wie der Antiquitätenshop, den sie führt. Aber als wären die ganzen Gegenstände dort noch nicht seltsam genug, taucht auf einmal auch noch der selbsternannte Alchemist Hippocrates auf und eröffnet Akane, dass sie die Göttin der grünen Winde sei und nur sie seine Heimat retten könne. Die hält nur wenig von dieser Aufgabe, hat eigentlich auch keine Lust, diese Reise anzutreten. Doch man lässt ihr keine Wahl, nur wenige Augenblicke später befindet sie sich in einer fremden Welt und am Anfang eines großen Abenteuers …
Wenn von den großen Post-Ghibli-Anime-Regisseuren die Rede ist, wird Keiichi Hara gerne mal vergessen. Das ist einerseits verständlich, denn die ganz großen Hits hat er nie gehabt. Zudem war er so viele Jahre mit Titeln rund um Doraemon und Crayon Shin-chan beschäftigt, dass er nur wenig Gelegenheit hatte, für sich selbst einen Namen zu machen. Am ehesten gelang ihm das noch mit Miss Hokusai, einem Biopic der verkannten Künstler-Tochter, für das er weltweit viel Anerkennung erhielt. Stoff für volle Kinosäle bot das hingegen kaum, weshalb er zwar die Aufmerksamkeit des Feuilletons erhielt – ein realistischer Anime mit feministischem Inhalt? –, nicht aber die der breiten Masse.
Das Wunder im Alltag
Wonderland – Das Königreich im Keller ist da nun das ziemliche Gegenteil. Wie schon in seinem ersten Nicht-Franchise-Film Summer Days with Coo erzählt er hier von ganz normalen Menschen, die eines Tages mit Fantasiewesen in Kontakt kommen. Damals war es ein Kappa, eine in Japan bekannte Fabelfigur, die das Leben der Protagonisten ziemlich durcheinanderbrachte. Dieses Mal dürfen es sogar mehrere sonderbare Kreaturen sein. Wobei die meisten zumindest grob auf unserer Welt basieren. Riesige Vögel und Fische kann man sich durchaus noch vorstellen, flauschige Schafe ohnehin. Auch wenn diese hier natürlich besonders süß sind.
Auch wenn der Vergleich zu Alice im Wunderland naheliegt, nicht nur des Titels wegen, so trifft der nur oberflächlich zu. Wonderland, alternativ auch als Birthday Wonderland bekannt, ist nicht annähernd so surreal, bietet keine ähnlich grotesken Gestalten wie im Buchklassiker. Dabei basiert auch dieser Anime auf einer literarischen Vorlage, genauer einem Kinderbuch von Sachiko Kashiwaba aus dem Jahr 1988. Dass die Zielgruppe hier etwas jünger ist, das ist dann auch unverkennbar. Richtig bedrohlich wird es nie. Auch ist die Geschichte nicht übermäßig komplex. Zwar reist die Truppe einmal quer durchs Land. Doch die Fahrt gerät sehr geradlinig, ohne größere Überraschungen und Zwischenfälle.
Unterhaltsam, aber nicht besonders genug
Auch deshalb geht Haras neuester Titel im direkten Duell gegen die Ghibli-Klassiker eindeutig als Verlierer vom Feld. Die fantastischen Elemente sind im direkten Vergleich recht gewöhnlich. Der Freischein, in einer fremden Welt alles machen zu können, was man will, wird nicht eingelöst. Lediglich die Kombination von Magie und Steampunk-Elementen sticht ein wenig hervor. Vor allem aber erlangt Wonderland, das beim Annecy Festival 2019 Premiere hatte, nicht die emotionale Tiefe, die etwa Hayako Miyazakis junge Heldinnen mitbrachten. Denn dafür wird Akane, trotz ihr großen Bedeutung für das Land, zu sehr an den Rand gedrängt. Die größeren Witze gehen auf das Konto der anderen Figuren, ebenso die tragischen Momente. Akane ist zu sehr Mitläuferin, muss von allen gedrängt werden, überhaupt etwas zu machen.
Dennoch, Spaß macht das hier ja schon. Einige Stellen sind sehr unterhaltsam geworden, an anderen ist es die Optik, die gefällt. Vor allem die Charakterdesigns sind auffällig. Und auch bei den Animationen kann man nicht meckern, das Studio Signal.MD (Ancien und das magische Königreich) hat hier gefällige Arbeit abgeliefert. Für den Kampf um die Anime-Krone reicht das jedoch nicht. Hara mag hier auf den Mainstream geschielt haben, verlor dabei aber etwas das Besondere aus den Augen. Das Ergebnis ist insgesamt noch gut, weshalb eine hiesige Veröffentlichung überfällig ist, angesichts des großen Talents des Regisseurs und des Szenarios hätte man sich aber schon mehr erhoffen können.
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