Cat Sticks

Cat Sticks

Cat Sticks
„Cat Sticks“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Eine regnerische Nacht in Kalkutta bietet den Hintergrund für verschiedene Episoden, die ineinander verwoben sind. Während sich beispielsweise eine Gruppe junger Drogensüchtiger und Dealer an einer Straße trifft und über ihre letzten Trips, Begegnungen mit der Polizei und ihre Freunde spricht, kommen am anderen Ende der Stadt, in einem verlassenen Flugzeugwrack drei junge Männer zusammen, um sich die derzeitige Trenddroge „Brown Sugar“ zu spritzen. Die Drogensucht bietet die Verbindung der einzelnen Episoden, wie sie das Leben der Süchtigen beeinflusst, sie zu einer teils verschworenen Gemeinschaft hat. Auf der anderen Seite zeigt sich auch, wie sie sich von ihrer Umwelt mehr und mehr entfremden.

„Die Strukturen sind verkommen.“
Gerade in den 1990er Jahren waren Drogen wie das im Film thematisierte „Brown Sugar“ Modedrogen in Ländern wie Indien, die viele Opfer forderten, Familien zerstörten und weitreichende emotionale Schäden hinterließen. Für seinen Debütfilm Cat Sticks, der beim diesjährigen Filmfest Oldenburg gezeigt wird und auf zahlreichen internationalen Festivals bereits lief, begab sich Regisseur Ronny Sen deshalb in jene Zeit zurück, als die „uneingeschränkte Liebe“ eine zentrale Rolle im Leben vieler junger Menschen spielte.

Da Sens Skript Drogensucht als eine kollektive Erfahrung begreift, erklärt sich die episodenhafte, teils fragmentarische Struktur seines Films. Anders als bei Filmen wie Danny Boyles Trainspotting ist es unmöglich, sich auf einen Charakter und das mit diesem verbundene Narrativ zu konzentrieren, sondern Drogensucht als Bewegung, als Trend, als weitreichendes Phänomen zu begreifen. Ähnlich wie das genannte Beispiel enthält sich Sens Skript eines Urteils über die Figuren, obwohl deren Handlungen teils fragwürdiger Natur sind, sondern im Gegenteils balanciert konsequent zwischen den positiven und negativen Begleiterscheinungen der Sucht. Während ein Charakter wie der von Saurabh Saraswat gespielte Deshik sich immer mehr von seiner Familie entfernt, diese anlügt und sich von ihr absondert, zeigt Kameramann Shreya Dev Dube gleich danach die Gemeinschaft der Süchtigen, die lachend und scherzend in einem Flugzeugwrack einander aufziehen.

Der Vorwurf der Verharmlosung oder gar der Drogen-Romantik zieht bei einem Werk wie Cat Sticks nicht. Zwar ist der Griff zur Droge in Sens Skript eine individuelle Entscheidung, aber die Form des Eskapismus, den sie bietet, ist auch ein Ausweg aus einer traurigen, kalten, desolat wirkenden Umwelt. Die Schwarz-Weiß-Bilder des Filmes unterstreichen diesen Eindruck, der Orte wie beispielsweise die Ruine eines Flugzeuges oder eine verlassene Lagerhalle besonders trostlos erscheinen lassen. Die Sucht scheint auch bei Sen gleichbedeutend zu sein mit der Wahl eines sozialen Exils, einer Verbannung in die Randgebiete der Gesellschaft.

„Du hast mit das Meer versprochen. Und dann hast du mich zu diesem Fluss gebracht.“
Innerhalb des Erzählkosmos des Filmes scheint Sen seine Figuren als Träumer darzustellen, die in einer Mischung aus Enttäuschung, seliger Gleichgültigkeit und jugendlicher Neugierde ihren Alltag bestreiten. Nicht selten merkt man der Ästhetik des Filmes die Nähe zu den Werken der französischen Nouvelle Vague an, besonders das Kino eines Robert Bressons oder eines François Truffauts, oder der menschlichen Anteilnahme, der dem Kino eines John Cassavetes zugrunde liegt. Drogen sind Teil des Lebens dieser Menschen, eine fatale Lust, die zudem Ausgangspunkt vieler ausgesprochen (ästhetisch) schöner Momente ist, beispielsweise, wenn zwei nackte Süchtige sich einer Art Tanz geben, ihre Körper ineinander verweben auf der Suche nach einer Vene für die Spritze. Gerade in diesem Paradox aus Schönheit und Fatalismus steckt die provokante Kraft eines Filmes wie Cat Sticks.



(Anzeige)

"Cat Sticks" ist ein Episodenfilm über Drogensucht. Durch seine Struktur gelingt dem Film eine facettenreiche Annäherung an seine Zeit, sein Thema und seine Figuren sowie ein Blick, der sich weniger für Moralvorstellungen als vielmehr für die Menschlichkeit seiner Charaktere interessiert, für ihre Wege zur Sucht und was sie mit dieser verbinden.
9
von 10