Wer sein Publikum bei der Stange halten will, der muss sich manchmal etwas einfallen lassen. Das gilt gerade auch für Netflix, die zwar im Moment noch die Nase vorn haben, denen jedoch durch Apple und Disney bald ungemütliche Konkurrenz ins Haus steht. Da heißt es entweder möglichst billig ganz viel produzieren oder mit einzelnen sehr teuren Werken auf sich aufmerksam machen. Dann und wann ist es aber auch ein ungewöhnliches Konzept, durch den der Streamingdienst um Beachtung kämpft. Ein solches bietet Criminal sicherlich. Dabei handelt es sich um eine Krimiserie, die von vier unabhängigen Teams aus ebenso vielen Ländern produziert wurde (Vereinigtes Königreich, Deutschland, Frankreich, Spanien). Jede dieser Unterserien erzählt in drei Folgen von zu lösenden Kriminalfällen. Der Clou: Alle Folgen spielen lediglich in einem Verhörzimmer.
Querverbindungen zwischen den Ländersegmenten gibt es keine, auch die einzelnen Episoden innerhalb eines Landes bauen nicht aufeinander auf. Sehr viel Entwicklung entsteht auf diese Weise natürlich nicht oder eine tatsächliche Identität. Es ist insgesamt auch ein bisschen viel Lärm um nichts, was um diese Serie gemacht wird. Denn so interessant das Konzept sich anhört, so wenig wurde draus gemacht, am Ende ist es nicht viel mehr als ein Gimmick. Wobei Criminal: Vereinigtes Königreich noch besser gelungenen ist als Criminal: Deutschland. Das liegt zum einen daran, dass die beiden Serienschöpfer George Kay und Jim Field Smith hier direkt beteiligt waren als Drehbuchautor und Regisseur. Außerdem punktet dieses Team mit internationaler Besetzung.
Bekannte Verdächtige
Das wichtigste Aushängeschild dürfte sicherlich David Tennant sein, bekannt etwa aus den Serien Broadchurch und Jessica Jones. Er spielt in Edgar einen eiskalten Arzt, der verdächtigt wird, seine minderjährige Stieftochter missbraucht und getötet zu haben. Die Folge ist die einzige der drei, bei der tatsächlich eine Art Duell-Situation entsteht, wenn besagter Edgar das Ermittlerteam regelmäßig durch seine Nicht-Antworten ins Leere laufen lässt. Es ist allerdings ein frustrierendes Duell, da „Kein Kommentar“ nicht unbedingt dazu beiträgt, dass die Geschichte auch mal an Fahrt aufnimmt. Das hat dann zwar eine anfangs gute Spannung, zumal Tennant selbst dann noch eine unheimliche Präsenz hat, wenn er nichts sagt. Es ist nur eben erzählerisch billig und als Krimi unbefriedigend, zumal die Auflösung dafür sehr überhastet ist.
Auch Stacey gleicht ein sparsames Drehbuch durch Schauspielkunst zu Teilen wieder aus. Hier ist es Hayley Atwell (Agent Carter), die eine leicht vulgäre Verdächtige spielt, die ihren Schwager vergiftet haben soll. Das Tempo der Ermittlungen ist auch hier nicht ganz geglückt, wenn Stillstand und Entwicklung in keinem guten Verhältnis stehen. Dafür ist die Folge lebendiger, nimmt das Publikum mehr mit, wenn wir in ein wenig vorzeigbares Unterschichten-Leben eintauchen – vor allem zum Ende hin. Das Ermittlerduo bleibt im Gegensatz zu der rotzig-widerspenstigen Stacey jedoch ziemlich blass, was allgemein für Criminal: Vereinigtes Königreich gilt. Und das ist ein echtes Manko, wenn die Polizei doch die einzige Konstante darstellt.
Was würdest du tun?
Jay hat nicht den Luxus eines prominenten Verdächtigen, schlägt sich aber achtsam aus der Affäre. Hier mimt Youssef Kerkour einen Lastwagenfahrer, in dessen Anhänger sich lauter illegale Immigranten befinden sollen – nur weiß keiner, wo der Anhänger ist. Hier versucht sich das Team mal an einem gesellschaftlichen Thema, wenn es ein besonders heißes Eisen anfasst. Doch erneut ist das Ergebnis eher ernüchternd. Die Geschichte selbst ist überkonstruiert, man nimmt ihr vieles einfach nicht ab – inklusive einem als Wendepunkt verkauften Moment. Interessant ist dafür das moralische Dilemma, in dem sich Jay befindet. Soll er die Menschen in seinem Anhänger retten, von denen er nicht einmal weiß, ob es sie gibt? Doch das heißt, eine Verurteilung in Kauf nehmen, ganz zu schweigen Ärger mit dem Auftraggeber. Ein Zwiespalt, der gut gespielt ist und das Publikum zwingt, sich in seine Lage zu versetzen.
Aufgrund der guten Darstellungen lässt man sich Criminal: Vereinigtes Königreich daher durchaus gefallen, zumal die drei Geschichten abwechslungsreich sind. Und doch, der große Wurf ist das hier nicht geworden. Zu vieles ist nicht durchdacht, umständlich, zu wenig ausgeglichen, oft auch ein bisschen träge. Eine Ermittlung lediglich durch Dialoge in einem Verhörzimmer abbilden zu wollen, ist ambitioniert, als eine Art Kammerspiel. Doch mit Klassikern wie Die 12 Geschworenen oder Die üblichen Verdächtigen kann es das hier nicht aufnehmen, dafür hapert es einfach zu sehr am Inhalt und echtem Charakter.
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